3.3 Strategien der Gestaltung im Spiegel der technischen Limitierungen 87 mitunter beeindruckenden Ergebnisse ihrer Tätigkeit liefert. Bereits Anfang der 1960er Jahre wurde am MIT beispielsweise ein erster, nicht-akademischer Musik- Compiler für den TX-0-Computer geschrieben, welcher dem MIT von der Armee zur Verfügung gestellt wurde (Levy 1994: 27f).48 Im Folgenden werden in den Kapi-telüberschriften kritische Limitierungen für Soundchip-Musik genannt um danach auf die in ihrem Spiegel angewendeten Gestaltungsstrategien zu erläutern. 3.3.1 Beschränkte Polyphonie Alle Soundchips vor den reichhaltiger ausgestatteten Plattformen ab Mitte der 1980er Jahre, die erstmals sechs Stimmen (PC-Engine) und mehr bieten, be-schränken sich auf eine drei- bzw. vierstimmige Klangwiedergabe. Eine Ausnahme stellt das Atari VCS mit seinen zwei Stimmen dar. Der AY-Chip besitzt als einziger PSG-Soundchip Einzelausgänge für die vorhandenen Kanäle.49 Den ande-ren PSGs (bis zur Einführung der Stereo-Chips von Amiga und PC-Engine) ist gemein, dass sie nur Mono-Signale ausgeben, in welchen die Anteile der Kanäle miteinander gemischt sind. Die Beschränkung der Mehrstimmigkeit kann wie die anderen Beschränkungen auch als Ursache für bestimmte Eigenheiten in der ästhe-tischen Gestaltung von Musik für Computerspielmusik gesehen werden. So spielt die Beschränkung eine große Rolle als Herausforderung an den Komponisten, wie Michael Pummell bemerkt: »It’s [. . . ] like writing for a string quartet. Imagine having only four instru-ments [. . . ] [a]nd you’re supposed to keep it interesting. That’s the challenge« (zit. n. Belinkie 1999: o. S.). Chris Hülsbeck antwortet pragmatischer auf die Frage nach der beschränkten Po-lyphonie und den Folgen für sein kompositorisches Vorgehen: »Die Art, wie ich mir damals Musik in meinem Kopf vorgestellt habe, war schon prädestiniert für den SID-Chip. Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn ich mehr Stimmen gehabt hätte aber im Prinzip war meine Denkweise damals ›Bass, Melodie und Drums‹. Schon dreistimmig sozusagen. Und das hat mir für lange Zeit gereicht« (Hülsbeck 2005a). Computerspielmusik für PSGs basiert i. d. R. auf diesen drei Haupt-Stimmen: Ne-ben einer Schlagzeug- und der Melodiespur steht noch eine begleitende Bass-Spur zur Verfügung. Häufig wird ein Kanal des Chips dabei für Soundeffekte reserviert. Ansonsten wird die Technik angewandt, eine Melodiestimme temporär stummzu-schalten, um auf dieser Soundeffekte abzuspielen, wie es in Super Mario Bros. 48 Das von Peter Samson entwickelte Programm, um auf dem Konsolenlautsprecher des frühen Transistor-Computers ein Bach-Stück wiedergeben zu können (Levy 1994: 33ff) kann als erste, nicht aus dem Bereich der akademischen Computermusik stammende Musik-Routine gewer-tet werden und stellt somit einen frühen Vorläufer der Soundchip-Musik dar. Für den eine dreistimmige Tonwiedergabe bietenden PDP-1 werden die Routinen von Samson überarbei-tet, der das Programm dem Hersteller DEC kostenlos zur Verfügung stellt (vgl. Levy 1994: 56). Ein anderes Programm für den TX-0 Computer, HAX errechnete Zufallsgrafiken und -soundeffekte auf Basis zweier Register (vgl. Graetz 2001: 44f). 49 Einzelne Pinouts der SSG-Tonkanäle bleiben auch bei den Chips YM 2149, 2203 und 2610 erhalten.