114 Populäre Soundchip-Musik Diese soziokulturelle Bewegung entzieht sich bis heute weitestgehend der Wahrneh-mung der breiten Öffentlichkeit, ist jedoch über dasWWWsehr gut organisiert und bis in die heutige Zeit aktiv. Wie der unter seinem Pseudonym »Goto 80« selbst in der Demo-Szene aktive Musiker Anders Carlsson im Gespräch bestätigt,31 handelt es sich bei Demos primär um »Geek Art for Geeks«,32 bei der sich sowohl die Pro-duzenten, als auch die meist auf die Demo-Szene beschränkten Rezipienten kaum um eine weitere Verbreitung kümmern. Der Begriff Chiptunes wurde von dieser Szene geprägt und kennzeichnete am Anfang die auf Amiga entstandenen, MOD-Dateien, die auf kurzen Wellenformen basieren und geloopt abgespielt werden.33 Der Grundsatz, auf einer bestimmten, limitierten Hardware-Basis ein möglichst spektakuläres Ergebnis zu erzielen und dabei Ressourcen schonend zu program-mieren, ist bei Demos von großer Wichtigkeit. Neben der kulturellen Praxis des Hacking (vgl. Kapitel 3.3, S. 85f) als Grundlage für den gewünschte audiovisuel-len Output und den damit verbundenen technischen Aspekten ist für die in der Szene Aktiven vor allem eine mit die mit der Kultur des Hip Hop vergleichbare Distinktionskultur von Wichtigkeit.34 Der beim Hacking geltende Grundsatz einer Herausforderung durch Technik be-steht auch bei Chiptunes fort: Die technisch limitierte Soundhardware wird als Vor-aussetzung der gesamten Musik genommen, womit eine Vergleichbarkeit zu anderen Künstlern entsteht und die ›Skills‹ des Programmierers, also seine Fertigkeiten im Umgang mit der bestimmten Hardware, objektiviert werden können. »Beste C64-, Amiga- oder Atari St- Musik einer maximalen kB-Größe« sind bis heute anzutref-fende Kategorien bei Wettbewerben auf den (Partys oder Conventions genannten) Veranstaltungen der Demo-Szene. Dennoch darf die Chiptunes-Szene nicht allein der Demo-Szene zugerechnet werden. V. a. nicht-europäische und jüngere Künstler kennen den sozialen Rahmen der Demo-Szene kaum. Der amerikanische Musiker »Nullsleep« (Jeremiah Johnson) sieht neben der von der 8 Bit-Technik ausgehenden Faszination auch ohne biografischen Demo-Szene- Hintergrund in der technischen Limitiertheit der Plattformen einen wichtigen Fak-tor für sein kreatives Schaffen:35 31 Die Demo-Group von Carlsson trägt den Namen »Hack ’n Trade«, in der er selbst seit 1993 (dreizehnjährig) aktiv ist. In der HVSID-Collection (http://www.hvsc.c64.org/; 26.07.2005) finden sich 81 Dateien von ihm, er tritt seit 2001 auch live auf. Seine Musik wurde bisher u.a. auf folgenden Tonträgern/Alben veröffentlicht: »Commodore Grooves« (Rebel Pet Set 2005, CD), »Bravor« (Candymind 2005, MP3) »Contech« (8bitpeoples 2005, MP3/MCD) »Copyslave EP« (20kbps Records 2005, MP3), »Bushrunner EP« (Penpal 2002, 7¨), »Pa-paya EP« (Bleepstreet 2001, 7¨), »Philemon Arthur and the VIC« (goto80.com 2002, MP3/SID) (vgl. http://www.goto80.com; 25.07.2005). 32 Mit dem englischen Ausdruck »Geeks« (engl. (slang) für: Streber, Stubengelehrter) werden i. d. R. Computer-Nerds (Nerds = engl. (slang) für Fachidiot, Sonderling etc.) bezeichnet. Das Zitat entstammt einem Gespräch mit dem Autor, 21.06.2005. 33 Die MODs des Künstlers »4-Mat« der Demo-Group »Arnachy« verwenden beispielswei-se einzelne Rechteckwellenformen, die als verschiedene Samples mit verschiedenen Offset- Einstellungen abgespielt werden, was zu einem der Pulse Width Modulation entsprechenden, lebendigeren Klangbild führt (n094, 095). 34 Im Hip Hop ›batteln‹ die verschiedenen Crews mit Worten, ›dissen‹ sich gegenseitig, während Graffitis, Kleidung und Musik die Identität der eigenen Crew festigen. Bei Demos vergleichen sich die verschiedenen Demo-Groups durch die in Teamarbeit programmierten Demos, die auf entsprechenden Partys miteinander im Wettbewerb stehen.