- 128 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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3.6.  Felsensteins Begriff der Konzeption

Bevor einzelne Elemente der Analyse Felsensteins dargestellt werden, um so analyse-methodische Aspekte ins Auge fassen zu können, soll Felsensteins Konzeptionsbegriff dargestellt werden. Felsensteins Verständnis einer Konzeption umfasst die Erklärung, warum Musik auf der Opernbühne erklingt. Deshalb ist Felsensteins Frage nach dem Anlass zur musikalischen Äußerung zentral für den musikalischen Wesenszug seines Theaters. Um der »Realität des singenden Menschen« (Felsenstein) auf der Bühne gerecht werden zu können, rückt die Frage danach, was Musik auslöst, in den Mittelpunkt einer musikdramatischen Analyse. Daher soll Felsensteins Begriff des Anlasses zur musikalischen Äußerung aus dem Konzept-Begriff heraus erläutert werden.

Zum Abschluss dieses Kapitels wird dann anhand der Grundzüge der Konzeption Felsensteins von Verdis ›Traviata‹ dargestellt, wie Felsenstein seine Ansichten über eine Opernanalyse in die Praxis umsetzte. Felsenstein hielt am 12. und 15.1.1965 einen in Zusammenhang zu seiner ›La Traviata‹-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin172

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R.: Walter Felsenstein, ML: Kurt Masur/Karl-Fritz Voigtmann/ Siegfried Kratzer, Gert Bahner, A: Rudolf Heinrich, Premiere am 16.10.1960
stehenden Vortrag von insgesamt vier Stunden Dauer mit dem Titel ›Demonstration und Analyse am Beispiel ›La Traviata‹‹. Er liegt bisher nur als Audio-Mitschnitt173
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Stiftung Archiv der Akademie der Künste/Tonarchiv, Nr. 813
vor. Felsenstein selbst unterschied diesen Vortrag ausdrücklich von einer Analyse der betreffenden Oper. Für eine solche Analyse reiche der Zeitraum bei weitem nicht aus. Er verweist auf ähnliche Veranstaltungen von ihm, die etwa den zwanzigfachen Zeitumfang hatten. Trotzdem lässt sich aus dem vorliegenden Material konkret die Arbeitsweise Felsensteins explizieren, obwohl er in diesen vier Stunden nur bis zur Szene Alfred-Annina zu Beginn des II. Aktes gelangte. Die Gründlichkeit schon dieser Andeutung einer Analyse hat erhebliche Aussagekraft darüber, was Felsenstein darunter verstand, wenn er auch in diesem Vortrag wieder betonte,

»dass keine Musik als Stimmungsmache oder unverbindliches Begleitstimulans da ist, sondern Handlungsaussage bedeutet.«174

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ebd., S. 1: Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die von mir erstellte Transkription. Da der Vortrag von Felsenstein frei improvisierend gehalten wurde, weist er einige sprachliche Eigenheiten auf, die im wesentlichen nicht korrigiert wurden. Sprachliche Gewohnheiten Felsensteins, z. B. Füllworte wie ›nicht‹ oder ›also‹ zu verwenden, die sich allein aus der Sprechsituation des freien Vortrages ergeben, habe ich der besseren Lesbarkeit wegen wegfallen lassen.

Felsensteins Verständnis einer Konzeption unterscheidet sich wesentlich von anderen gängigen Auffassungen darüber, was eine Konzeption leisten soll – nämlich einen dem Stück hinzugefügten ›Regie-Standpunkt‹ zu beschreiben, von dem aus das Stück ›erzählt‹ wird. Dieser aktuell vorherrschende Standpunkt zu Regie sei in seinen Grundzügen kurz referiert.

Regiekonzepte gibt es im Zuge dessen, was mit dem Terminus des Regietheaters erfasst wird. Aufgrund der Tatsache, dass die aufzuführenden Werke nicht direkt auf eine – nicht im üblicherweise pejorativen Sinn gebrauchten – Darstellungskonvention treffen, die ihre allgemeine Spielbarkeit und damit Verständlichkeit verbürgt,175

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siehe dazu auch: Steinbeck, Dietrich: Wer hat Angst vor Walter Felsenstein, in: Kobán, Ilse (Hrsg.): Walter Felsenstein. Theater. Gespräche. Briefe. Dokumente, Edition Hentrich, Berlin 1991, S. 200–202

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