- 13 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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2.  Felsensteins theaterästhetische Positionen

2.1.  Felsensteins »Retheatralisierung« der Oper

Felsenstein war ein radikaler Kritiker des Opernbetriebes seiner Zeit. Die herkömmliche Opernproduktion bezeichnete er durchaus abfälllig als ›Opernbranche‹. Angesichts des ›mangelnden Kontaktes mit der arbeitenden Bevölkerung‹1

1
Felsenstein, Walter: Schriften zum Musiktheater. Stephan Stompor (Hrsg.), Berlin, Henschelverlag, 1976 S. 31
fragte sich Felsenstein:

»Warum ist das Musiktheater keine Angelegenheit des Volkes? Oder: Wie ist das Musiktheater zu einer Angelegenheit des Volkes zu machen?«2

2
ebd. S. 41

Felsenstein sucht folglich nicht theoretisch zu ergründen, warum Musiktheater nicht volkstümlich ist, sondern stellt sich die auf praktische Konsequenzen abzielende Frage, warum das – eigentlich für es bestimmte – Musiktheater noch keine Angelegenheit des Volkes ist. Dieser Fragestellung liegt eine spezifische Kunstauffassung zugrunde, deren Anspruch es ist, das eine dem Volk nicht zugängliche Kunst ihrem Sinn widerspricht und daher auf eine Unzulänglichkeit der Kunst verweist. Das wahre Kunstwerk, so Felsenstein, beweist seinen Charakter erst dadurch, dass es das Publikum nicht nur unterhält, sondern in seinem tiefergehenden Interesse berührt.

Von der Prämisse ausgehend, dass Interesse an Musiktheater beim Volk im Grunde vorliegt, ergibt sich Erklärungsbedarf für das Nicht-Vorliegen eines solchen. Felsensteins Begründung ist vor dem Hintergrund seiner These, dass das echte Musiktheater eine Angelegenheit des Volkes ist, folgerichtig: Echtes Musiktheater wird dem Volk nicht geboten.

»So seltene Erfahrungen [von echtem Musiktheater] können aber nicht ausreichen für die Beantwortung der Frage, in welchem Maße ein breites Publikum echtes Musiktheater begehrt. Das Publikum in der Breite des Volkes kann ja auch nur Stellung nehmen zu etwas, das es kennt, worüber es sich aus eigener Anschauung eine Meinung gebildet hat.«3

3
ebd., S. 44

Ob das Volk ein Interesse an Musiktheater äußert oder nicht, kann über das eigentliche Interesse an Musiktheater keinen Aufschluss geben, da das Volk nur das unechte, ihm entfremdete Musiktheater kennt. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit den Gründen für mangelndes Interesse an Musiktheater ist somit für Felsenstein per definitionem obsolet. Entsprechend seiner Auffassung von Musiktheater gilt ihm eines, das das Volk nicht erreicht, nicht als solches. Das Desinteresse des Volkes stellt für ihn somit keinen Anlass dar, die Berechtigung seiner Kunst


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