- 151 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Abschluss als »Symbol eines Liebesaktes«228
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ebd., S. 35
bezeichnen. Die beiden Gesangsstimmen verschmelzen hier zu einer Einheit.

In diesen Moment der Verzückung bricht mit dem abrupten Einsatz der Bühnenmusik im forte und dem Auftritt Gastons die Realität wieder herein, die Verdi absichtsvoll vulgär der Zärtlichkeit der vorherigen Szene entgegensetzt. Diese Entgegensetzung treibt Verdi dann noch auf die Spitze, wenn er nach dem schnellen Abgang Gastons Violetta und Alfred zu eben dieser »Bumms-Musik« auf verliebt-poetische Weise sich verabreden lässt. Violetta überreicht Alfred eine Kamelie. Weil der gehen will, verlangt Violetta, er möge wiederkommen, »wenn ihre [der Kamelie] Blätter welk sind«.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Verdis Intention dieser genialen musikalischen Konzeption nur darin bestehen kann, die Entgegensetzung der Welt der Liebenden mit der Welt der Pariser Gesellschaft komponieren zu wollen. Dass in dieser Entgegensetzung das Verlieben Violettas in den musikalischen Raum der lärmenden Festmusik der Pariser Gesellschaft eingebettet ist, kann man geradezu als klingendes Emblem der Bedrohtheit der Liebe in einer unmenschlichen Welt begreifen. Erst die Ausblendung der Wirklichkeit lässt ein Liebesduett zu. Es sei an die Wiedersehensszene Violettas mit Alfred im letzten Akt erinnert, in der Verdi dem Wiedersehen das von der Straße hereinklingende Karnevalstreiben durch eine ebensolche lärmende Banda voranstellt und entgegensetzt. Damit ist der Handlungsstrang der enstehenden Liebe Violettas und Alfreds abgeschlossen. Den Abschluss des I. Aktes bildet ein Porträt von Violettas Ende in der Pariser Lebewelt durch den sogenannnten »Aurora«-Chor und Violettas Arie.

3.8.8.  Die musikalische Form als Ausdruck der konzeptionellen Grundidee

Felsenstein fasst Violettas Zustand folgendermaßen zusammen:

»Es kann nur so sein: in ihrer Ratlosigkeit, ja sogar in ihrem Bedürfnis, sich gegenüber Spöttern zu verteidigen, wie im ersten Satz, findet sie zu diesem Freudenausbruch, der ein Bekenntnis zu dem darstellt, gegen das sie sich wehrt und, um das zu verstärken und zu erhärten, beschimpft sie diese Feste, in denen sie gelebt hat, verstrickt, verstrickt! ›Ich war verstrickt in diesen Taumel nutzlosen Daseins‹ [Felsenstein geht vom Sprechen des Untertextes über zum Partiturtext, den er markiert]. Indem ich diese abgegessenen und abgesoffenen Tische nicht sehen will oder an ihnen vorbei gehen will, bleibt mein Blick plötzlich hängen an dem Tisch hier, wo ich mit Alfred und den anderen gesessen habe und wenn es mir jetzt als Violetta gelingt, nicht mehr allein im Raum zu sein, ich bin keine Somnambulin, ich hab’ so was noch nicht..., ich kenne so was nicht, dass ich wachend Gesichte habe! Aber sie hat zum ersten Mal nicht im Traum, sondern im Wachen ein Gesicht und sie ist verpflichtet, uns, den ganzen Zuschauern, klarzumachen, was ist. [mit »Was ist setzt Korr. mit Akkorden der Arie ein«], Was ist, also er sitzt da [Felsenstein spricht in die Akkorde], eine Darstellerin, die – vorausgesetzt, dass sie talentiert ist – zur nötigen Konzentration fähig ist, kann ihnen das


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