- 17 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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wie Natur zur Erscheinung kommen. Insofern geht es Felsenstein um die Glaubwürdigkeit des Gesanges, als er in den Opern die hohen ideellen Gehalte des klassischen Theaters findet, die die »Opernbranche« verriete. Es geht ihm darum, auf der Opernbühne die Wahrheit über die Natur des Menschen und das Telos der Menschheitsgeschichte erscheinen zu lassen, um so den Humanismus in die Welt zu tragen. Wie Theater dies leisten könne, soll nun näher betrachtet werden. Dabei soll Felsensteins Theaterauffassung als eine dem idealistischen Kunstbegriff nahestehende erläutert werden.

Felsensteins Bemühungen um die »Retheatralisierung« der Oper – dies sei hier bereits vorausgeschickt – zielen darauf ab, dem echten Musiktheater die höheren Weihen des klassischen Theaters zuzuführen. Die Gültigkeit der wesentlichen Gehalte und Ideen des klassischen Theaters setzt Felsenstein voraus, er ergreift grundsätzlich Partei für dessen Werte, ohne sie vorher zu untersuchen. Die theoretische Distanz, die seine Beschäftigung mit den praktischen Problemen des Musiktheaters auszeichnet, brachte er bei einer Beurteilung des klassischen Theaters nicht auf. Den in praktischen Fragen – gewissermaßen unkünstlerischen – Standpunkt einer sachlichen Beurteilung nahm Felsenstein bei den Gedanken über Beschaffenheit und Zweck von Theaterkunst überhaupt nicht ein, sondern bezog den entschiedenen subjektiven Standpunkt des Künstlers, ein Standpunkt, der sich schlicht aus seiner Qualität, ein künstlerischer zu sein, begründet. Felsenstein machte seine Entscheidung für die klassischen Kunstideale nicht von einer Prüfung eben dieser Ideale abhängig, sondern war als Künstler für sie vorab entschieden. Nicht, was das klassische Theater bewirken will, beschäftigte Felsenstein, sondern die Sorge darum, dass das Musiktheater diese Wirkung nicht hervorbringt.

2.1.2.  Felsensteins Humanismus

In einem Gespräch über Aufgaben des Musiktheaters mit Hans-Rainer John17

17
Felsenstein, Schriften, S. 107ff.
wurde Felsenstein darauf angesprochen, in wieweit er traditionelle Repertoire-Stücke, also Stücke, deren Entstehungszeit erheblich zurückliegt, »unter zeitgenössischen Gesichtspunkten auszuwählen und zu interpretieren, ihren Ideengehalt aufzudecken« vermag. An Felsensteins Antwort soll im Folgenden gezeigt werden, wie er den Idealen des klassischen deutschen Idealismus verpflichtet ist:

»Ihre [der Stücke] Helden sind nicht nur Träger großer menschlicher Grundgefühle, wie Liebe, Trauer, Haß, Neid, Freude, Eifersucht, sondern sie setzen sich auch mit diesen Emotionen auseinander, reifen an ihnen und erkämpfen sich dadurch eine neue Stufe menschlicher Ethik und Moral. Indem wir solche inneren Entwicklungen in eine konkrete historische Umwelt stellen, gewinnen wir sie für unsere Gegenwart als echte ›Gegenwartsstücke‹.«18

18
ebd., S. 107f.

Gegenstand dieser Stücke sind demnach »große menschliche Grundgefühle«, mit denen sich die handelnden Personen im Verlauf der Stückhandlung auseinandersetzen und an dieser Auseinandersetzung »reifen«. Diese handelnden Figuren sind


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