Der prinzipielle
Unterschied zwischen der schauspielmethodischen und der theaterästhetischen
Dimension dieses Begriffes stellte sich dabei als wesentlich heraus. Unter dem
schauspielmethodischen Aspekt zeigte sich, dass Einfühlung aufgrund des Wesenszuges
von Theaterarbeit, dass sich der Darsteller in eine Figur verwandelt, den Positionen
von Felsenstein und Brecht gleichermaßen innnewohnt. Die theaterästhetische
Dimension der Einfühlung wurde einsortiert als eine des Zuschauers. Dabei wurde
offengelegt, dass es eine Chimäre ist, diesen Akt mit der Darstellungsform auf der
Bühne zu begründen. Vielmehr trifft eine gelungene Theateraufführung auf
die Entscheidung des Zuschauers, der Handlung mitfühlend zu folgen. Dass
sowohl der mitfühlende Zuschauer Felsensteins sich dabei Handlungsoptionen im
Sinne eines Bildungsprozesses erschließen kann, als auch sich beim Zuschauer
Brechts eine aktivierte kritische Haltung bilden kann, lässt den Schluss darauf
zu, dass sich in der wirkungsästhetischen Absicht beide Theatermacher einig
waren.
2.3. Felsensteins Probenarbeit mit dem Sänger-DarstellerIm Folgenden soll dargestellt werden, wie Felsenstein die Identität von Darsteller und Figur zu erzielen versuchte. Der dazu einzuschlagende Weg beginne bei der Persönlichkeit des Darstellers. Dessen innerer Zustand solle mit dem der darzustellenden Figur im Laufe der Probenarbeit immer mehr zusammenfallen. Felsenstein erkennt die besondere Schwierigkeit, die dieses Postulat auf dem Feld des Musiktheaters mit sich bringt. Dass die höchst artifizielle Benutzung der Stimmfunktionen nur als Ausdrucksmittel dienen soll,95
Felsenstein bezieht seinen aus dem Musiktheater abgeleiteten Anspruch an den Darsteller nicht nur auf seinen Gesangspart, sondern auch auf den Orchesterpart. Wenn der Darsteller jeglichen musikalischen Vorgang – auch den Orchesterpart – durch sein Bühnenhandeln veranlassen soll, hat dies weitreichende Konsequenzen für seine Arbeit. Es muss auch jeglicher musikalische Vorgang in seine Rollenanalyse einbezogen werden. Darüber hinaus hat dieses Postulat jedoch auch Konsequenzen für die erforderliche Disposition des Sängers in der praktischen Probenarbeit. Sich in die extremen Zustände, die singend auszudrücken sind, einzufühlen, stellt gerade aufgrund der musikalischen Bestimmtheit dieser Zustände eine doppelte Schwierigkeit dar. Diese Zustände sind der Normalität, in der wir uns bewegen und auf die |