- 51 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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3.  Die »Partitur als Regiebuch« – Bezugnahme von Musik und Szene bei Felsenstein

Felsenstein: »Sobald Sie nämlich eine Verdi-Partitur ernst und wörtlich nehmen [...], ist diese schon ein Regiebuch par excellence. Jede Achtelnote, jeder Tempowechsel, jede dynamische Bezeichnung ist schon eine szenische Anweisung. Jede instrumentale Figur entspricht einer szenischen Aktion oder Reaktion.« (aus einem Gespräch mit Rolf Liebermann anlässlich der Hamburger Rigoletto-Inszenierung Felsensteins im Jahr 1962)1
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Felsenstein, Schriften, S. 369

Der Anspruch Felsensteins an eine gelungene Inszenierung lautet, dass jede szenische Handlung, jeder körperliche oder Sprechakt der Partitur entnommen sein müsse. Folglich müsste die Herkunft der szenischen Vorgänge aus der Partitur nachweisbar sein. Gegenstand der Analyse soll also die Transformation musikalischer Prozesse in szenische Vorgänge sein. Dabei gilt es zu prüfen, wie ein so prinzipieller Standpunkt konkret-praktisch eingelöst wird.

Im Allgemeinen unterliegt jene Transformation dem Diktum eines hermeneutischen Problems: eine Vergegenständlichung musikalischer Prozesse sei deswegen unmöglich oder zumindest äußerst schwierig, weil diese als musikalische genuin ungegenständlich und unbegrifflich seien, sich somit einer adäquaten Vergegenständlichung entzögen Analog dazu wird der ›semantische‹ Gehalt von Musik betrachtet. Was eine Musik bedeutet, scheint sich der verbalen Versprachlichung zumindest tendenziell zu entziehen. Die Wortsprache übermittelt Begriffe, das Wesen eines Wortes fällt in den allermeisten Fällen mit seiner Bedeutung zusammen. Die Kategorie der Bedeutung scheint dagegen auf dem Feld der Musik problematisch, wenn überhaupt, so ist die Bedeutung eines Musikstückes erst zu erschließen, keineswegs fällt sie mit dem Erklingen der Musik zusammen. Musik scheint offenbar unbegrifflich zu sein und eine Bedeutung zu haben.2

2
»Die scheinbar vetrackte (oder aber nichtssagende) Formel, daß Musik – genauer: »absolute Musik« – »nichts als sich selbst bedeute«, impliziert einerseits, daß der tönende Vorgang, das akustische Ereignis, überhaupt eine »Bedeutung« hat oder ausspricht – statt sich in sich selbst zu erschöpfen –, daß man also in der Musik zwischen Präsentem und Repräsentiertem unterscheiden kann, besagt aber andererseits, daß die »Bedeutung« eine musikalische, nicht eine außermusikalische sei.« Dahlhaus, Carl: Das »Verstehen« von Musik und die Sprache der musikalischen Analyse, in ders.: Klassische und romantische Musikästhetik, Laaber, 1988, S. 318ff.
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Überlegungen, die die Transformation von Musik in gegenständliche Medien in dem Sinne auffassen, dass der Gehalt des zu übertragenden musikalischen Prozesses vollständig im neuen Medium zur Erscheinung zu kommen hätte, konstatieren letztendlich eine triviale Tatsache. Der Gehalt von Musik lässt sich nicht von seiner Erscheinungsform trennen, dem Gehalt von Musik ist inhärent, dass er erklingt.

Im Folgenden wird dargelegt, warum diese Auffassung von Musik für das Musiktheater keine treffende Charakterisierung darstellt. Dem Komponisten von musizierendem Theater schwebt eine szenische Gestalt3

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vgl. zum Begriff der szenischen Gestalt: Franz, Helmut: Die Partitur als Regiebuch, in: Regie fürs Musiktheater. 10 Jahre Studiengang Musiktheater-Regie in Hamburg, hrsg. Von der Pressestelle der Universität Hamburg 1984, S. 21ff.
vor, jedoch nicht in dem Sinne,

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