- 69 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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3.2.2.  Jago – kein »Prototyp des Bösen«?

Der Ausgangspunkt Felsensteins für seine ›Othello‹-Inszenierung besteht darin,

»daß man Othello nicht einfach als Drama der Eifersucht abtun, ebensowenig Jago als Prototyp des Bösen darstellen kann.«47

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Felsenstein, Schriften S. 352

Lässt man die Musik des ›Credo‹ auf sich wirken, so liegt durchaus der Eindruck nahe, dass in Jagos ›Credo‹ das Prinzip des Bösen musikalisch ausgedrückt wird. Musiksprachlich schildert Verdi mit unglaublichem Pathos den zynischen Abgesang auf die christlichen Glaubensgrundsätze der Nächstenliebe und des Lebens nach dem Tod. In ihrer Drastik kaum zu überbietende Dynamik, mächtige Akkordschläge, das Unisono als »Klangsymbol des Gefährlichen«48

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»Auf engem Raum zusammengedrängt erscheinen hier all jene Darstellungsmittel, die in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts von jeher zur Charakterisierung der »negativen Helden« dienten, insbesondere das Unisono, dessen Verwendung als Klangsymbol des Gefährlichen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, und der Triller, der, zumal im Fortissimo, für Verdi anscheinend mit der Vorstellung des Hinterhältigen verbunden war.« In Markgraf, Wolfgang: Guiseppe Verdi. Leben und Werk, VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig 1982, S. 320
und nicht zuletzt die freie, rhapsodische Form vermitteln den Eindruck einer Zerrissenheit, die einem menschlichen Charakter kaum mehr zuzuweisen ist. Dazu legt der philosophische Text nahe, dass mit diesem Stück eher ein Prinzip als ein menschlicher Zustand seinen musikalischen Ausdruck findet. Das Prinzip ist das des Bösen. Dass das Grausen vor dem Prinzip des Bösen nach dem Hören naheliegt und nicht das Miterleben seelischer Vorgänge Jagos dadurch, dass dessen Innerlichkeit musikalisch gefasst ist, wäre ein durchaus plausibler Höreindruck. So betrachtet wäre die Jago-Figur als Träger der Idee des Bösen ein ebenbürtiger Gegenspieler zur ›Naturgewalt‹ Othello. Es wäre nicht abwegig, zu behaupten, hier würde die ganze Destruktivität, durch die die Handlung im ›Othello‹ gekennzeichnet ist, in ein klangliches Bild gefasst, gewissermaßen die dunkle Seite der Welt, deren Energie – personifiziert in Jago – immer mehr um sich greift. Hierfür würden durchaus einige Szenen – es sei nur an das Schlussduett dieses Aktes zwischen Othello und Jago erinnert – sprechen.

Aus welchem Grund kam Felsenstein zu einem anderen Ergebnis? Für Felsenstein war Jago nicht der »Prototyp des Bösen«, sondern ein Charakter, der begründet so handelt, wie er es tut. Den Grund gibt Felsensteins dramaturgischer Mitarbeiter Götz Friedrich im Programmheft für das Credo folgendermaßen an:

»Aber der verhinderte Jago muß einen letzten Rest von Moral, von Achtung vor dem Menschen, von Grauen vor der Untat haben. Er will das Verbrechen vor sich selbst rechtfertigen, muß es sich als unausweichlich suggerieren: das ist das Credo – atemberaubend in seiner kantigen Unausweichlichkeit. Jago türmt seinen hybrischen Triumph auf: ›Ich glaub’ an einen Gott, der mich als seinesgleichen erschuf‹.«49

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Friedrich, Götz: »Vom Lauf der Zeiten unberührt« in: Programmheft der Komischen Oper Berlin zur ›Othello‹-Inszenierung von 1959

Dass es ein Credo, ein Gebet ist, besagt nichts über Jagos Motive, begründet nicht den Wunsch, sein Handeln zu legitimieren und lässt deswegen noch nicht auf einen


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