- 80 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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3.3.1.1 Hoffmann – der Künstler scheitert am Menschen

Im Folgenden werden die Stationen und Grundzüge der Struktur des Stückes ausschließlich an seiner Musikdramaturgie nachgezeichnet, was insbesondere deswegen interessant ist, weil die Dialoge einen ausgesprochen großen Raum einnehmen. Felsenstein schätzt den Dialog-Anteil auf etwa ein Drittel. Im Sinne einer die Stückhandlung konstituierenden Musik sind immer wieder Handlung und Musik aufeinander zu beziehen und deren Beziehung im Einzelnen nachzuzeichnen. Außerdem wird Felsensteins Realisation der betreffenden Szenen dargelegt.

Felsenstein stellt an den Anfang eine kurze Szene, die im Zuschauerraum eines Theaters spielt. Auf der Bühne findet gerade das Anfangsduett zwischen Don Giovanni und Donna Anna statt. Die Hauptaktion der Filmszene besteht jedoch darin, den erregten Hoffmann zu zeigen, wie er rücksichtslos gegen das andere Publikum einen Platz sucht, obwohl die Opernaufführung schon begonnen hat. Dass er die Konvention verletzt, indem er sich schlecht benimmt, ist Hoffmann offensichtlich völlig egal. Er hat einen Grund für sein Benehmen, der sein Verhalten berechtigt: Seine Gefühlswelt erhebt ihn über derart Profanes wie ›gutes Benehmen‹. Dem Zuschauer, der die Handlung der Oper nicht kennt, ist der Grund für Hoffmanns Auftritt im Theater nicht klar. Dass ihn mit der Sängerin der Donna Anna eine leidenschaftliche Liebe verbindet, ist noch nicht etabliert. Deswegen wirft diese Szene beim Zuschauer Fragen über diesen eigentümlich aufgeregten und sich schlecht benehmenden Mann auf. Der aufgeregte Duktus des auf der Theaterbühne gerade stattfindenden ›Don Giovanni‹-Duettes der 1. Szene korrespondiert hier zwar mit der Erregung Hoffmanns, jedoch ist seine Aufregung offensichtlich nicht in der Opernszene, die er sieht, begründet, sondern in einem von ihr geschiedenen Interesse. Er hat einen privaten Bezug zu dem, was auf der Theaterbühne geschieht.

Dieses Duett aus dem I. Akt von Mozarts ›Don Giovanni‹ korrespondiert auf einer Meta-Ebene auffällig mit der noch darzustellende Ausgangssituation Hoffmanns. Über dieses Duett schreibt Felsenstein anlässlich seiner ›Don Giovanni‹ Inszenerung 1966:

»Wie anders erhält das Duett der 1. Szene seinen Sinn, als daß Giovanni, dem sich noch nie ein Weib widersetzt hat, Annas Verhalten nicht verstehen und das Objekt seiner Begierde nicht preisgeben kann? Unfähig, die Niederlage zu erkennen, glaubt er Annas Aggression überwinden zu können, bedenkt nicht, daß der nächtliche Lärm unvermeidlich Zeugen herbeiruft, und sticht – vom Komtur zum Zweikampf gezwungen – seinen Freund und Annas Vater nieder. Der Meister jeglicher Situation, dessen Lebenslauf bisher nur von seinem Willen und seiner Lust beherrscht war, verliert die Lenkung seines Geschicks. Giovannis Ende hat begonnen.«68

68
Felsenstein: Donna Anna und Don Giovanni, Konzeptionsnotizen in: Kobán, Ilse (Hrsg.): Walter Felsenstein. Die Pflicht, die Wahrheit zu finden, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main, 1997, S. 111

Sowohl das Moment seiner Zurückweisung, als auch nicht von Donna Anna/Stella loslassen zu können, teilen Hoffmann und der Giovanni dieser Sichtweise. Auch Hoffmann befindet sich – wie gezeigt werden wird – an der Schwelle dazu, »die


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