- 98 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Begründung für die Äußerung Niklaus’ bzw. der Muse, mit Hoffmann zufrieden zu sein: Hoffmann hat begonnen, sein persönliches Schicksal durch einen künstlerischen Verarbeitungsprozess in Kunst zu verwandeln. Dass Hoffmann in vollem Bewusstsein gerade mittels der letzten Strophe des »Klein-Zack«-Liedes sowohl mit Lindorf als »Geldsack« abrechnet, als auch sich von der als Primadonna korrumpierten Stella abwendet, deutet schon an, dass Hoffmann nicht mehr in der Bitterkeit der beiden »Klein-Zack«-Strophen aus dem I. Akt befangen ist. Der Künstler Hoffmann hat den verbitterten Menschen Hoffmann vor dem Zynismus gerettet und der empfindende Mensch Hoffmann blüht in der Schlussarie als Dichter auf, der um seine Muse weiß. Zum Abschluss soll noch einmal Felsenstein zu Wort kommen, der folgendermaßen zusammenfasst, worum es ihm im ›Hoffmann‹ geht:

»Die Muse ist die Liebe, sie ist Hoffmanns Liebe. Ohne Liebe gibt es keine Muse. Wenn die Liebe stirbt, stirbt die Muse, stirbt die Poesie, stirbt der Mensch.«103

103
Felsenstein/Herz, S. 291

Es sollte deutlich geworden sein, dass Felsensteins Ansicht nicht mit einer Stückauffassung zu verwechseln ist, sondern die Kernaussage des Stückes ausspricht. Aus ihr heraus begründen sich die Rahmenhandlung wie auch die drei Frauen-Akte als Aufarbeitung einer künstlerischen Existenz, die das »Sterben der Liebe« in weit mehr als bloßem persönlichem Schmerz erfasst, sondern gerade in der Kunst Liebe als ein humanistisches Prinzip feiert, bzw. seine Abwesenheit in einer amoralischen Gesellschaft kritisiert. Weiterhin ist klar geworden, dass die Kernaussage nur in dem, was Felsenstein ›musikalische Handlung‹ nennt, erfassbar wird, folglich auch von einer Stückanalyse erhellt werden muss. Eine dem Stück verpflichtete Handlungsanalyse muss die musikdramaturgischen Spezifika in den Blick nehmen, indem sie Musik als Konstituante der Handlung erkennt und gleichzeitig als (Bühnen-) Handlung versteht. Zusätzlich sollte an den Szenen-Beschreibungen der ›Hoffmann‹-Verfilmung Felsensteins gezeigt werden, dass die musikalische Handlung, gewonnen aus einer Stückanalyse, die begründet, warum Musik erklingt, Kriterien für eine Bühnenrealisation hergibt. Felsensteins Begriff der ›musikalischen Handlung‹, gewonnen aus der Frage nach dem Grund, dem Anlass von Musik, ist sowohl produktiv für eine Inszenierungsarbeit als auch dafür, eine fertige Inszenierung zu untersuchen.

3.3.2.  ›Ritter Blaubart‹ – Glaubhaftigkeit in der Parodie

Wenn man Felsensteins ›Blaubart‹-Verfilmung in Kenntnis seiner anderen Verfilmungen oder gar seiner musiktheater-theoretischen Positionen schaut, so ist man erst einmal verwundert. Hier werden Stilelemente verwendet, die man eher bei Brecht vermutet. Joachim Herz, Mitarbeiter Felsensteins, Regisseur und später sein Nachfolger an der Komischen Oper Berlin, stellt Ähnliches fest:

»In Felsensteins Offenbach-Inszenierungen berührte sich zu Kristall gefrorene Emotion mit dem, was Brecht ›Verfremdung‹ nannte.«104

104
Herz, Joachim: Walter Felsenstein. Versuch eines Kurzporträts in: Kobán, Ilse (Hrsg.): ›Das schlaue Füchslein‹ von Leos Janácek, Verlag Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1997, S. 12


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