6.3. Orchesteremanzipation und Orchestermanagement
Die erwachsenenpädagogischen Aufgaben für den Dirigenten, wie sie im vorigen Kapitel
skizziert wurden, erwachsen aus der Orientierung an den Teilnehmerinteressen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Wechselwirkung zwischen Bildungserwartung der
Teilnehmer und Bildungsangebot der Dozenten, ggf. einer Institution, ist jedoch, daß die
Teilnehmerinteressen auch geäußert und gebündelt dem künstlerischen Leiter vorgetragen
werden müssen. Zur Bestimmung des gemeinsamen Arbeitszieles des Orchesters als
Gruppe müssen sie in dem dafür notwendigen Maße aufeinander abgestimmt werden. Die
einem erwachsenen Instrumentalisten (im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen) in der
Regel bewußten spieltechnischen Unzulänglichkeiten sollten nicht als Barrieren
wirksam werden mit der Folge, daß individuelle Erwartungen, Eindrücke und
Verbesserungsvorschläge nicht verbalisiert werden (vgl. Kap. 5.3.4). Wenn ein Orchester
zu einer bildungsorientierten und demokratischen Mündigkeit findet, vergrößern sich die
Chancen, die als vordergründig angesehenen spieltechnischen Probleme zu lösen,
erheblich. Wo das Orchester sich artikuliert, hat sich eine ›Vermittlerebene‹ zwischen
Orchester und Dirigent etabliert, meist in Form eines mehrköpfigen ›Vorstandes‹ oder
›Beirates‹, eines oder mehrerer ›Sprecher‹ oder ›Organisatoren‹. Die Erfahrung zeigt,
daß ein(e) ›organisatorische(r) Leiter(in)‹ oftmals für den Bereich der gesamten
nicht-künstlerischen Koordination verantwortlich zeichnet. Die Fallstudie (Kap. 5) sowie
das Adressenverzeichnis des BDLO belegen, daß der Ansprechpartner eines Orchesters
oft nicht der Dirigent ist. Die Aufgabenverteilung bewegt sich zwischen zwei
Extremen: Entweder hat der künstlerische Leiter ausschließlich die Probenarbeit
zu leisten, und der organisatorische Leiter ist für alle verwaltungstechnischen,
organisatorischen und sozialen Belange verantwortlich. Oder der künstlerische
Leiter ist für alle Bereiche verantwortlich, gegebenenfalls in Absprache mit dem
Konzertmeister und unter Kenntnisnahme der Teilnehmeräußerungen. Ist ein
Orchester als eingetragener Verein organisiert, regelt eine Satzung die inneren
Angelegenheiten. Andernfalls muß das Ensemble zu verbindlichen Vereinbarungen für alle
Mitglieder finden. Je differenzierter Entscheidungsabläufe im vorhinein geregelt
sind, um so reibungsloser gestaltet sich die Durchführung (vgl. Kap. 5.3.4).
Angesichts der Möglichkeiten des technologischen Zugangs zu computergestützten,
professionellen Daten-, Textverarbeitungs- und Informationssystemen hat sich die
öffentliche Erwartungshaltung an ›public relations (PR)‹, also an jede Form der
Öffentlichkeitsarbeit sowie gruppeninterner Organisationsvorgänge, entsprechend
professionalisiert. Hand- und schreibmaschinenschriftliche Programme und Plakate
werden als nicht mehr zeitgemäß und ›dilettantisch‹ angesehen, was schnell als Vorurteil
auf den transportierten Inhalt übertragen wird. Einem entsprechenden Wandel unterliegt
auch die öffentliche (Konzert-) Präsentation selbst. Tritt ein Laienorchester z.B.
in der Hamburger Musikhalle auf, kann es sich dem Maßstab kommerziellen
Konzertmanagementes nicht mehr entziehen. Die ›Positionierung‹ des eigenen Beitrags
zur Stadtkultur gerät in den Sog professioneller PR-Strukturen, die in einem dichten
Netz um die günstigsten, d.h. publikumswirksamsten ›product placements‹
ringen.32
32 Vgl. AVENARIUS, S. 362.
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Orchesterorganisation
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