2.1 Was ist ein Medium?9 Wenn mit McLuhan jedes Werkzeug, mit Luhmann jede Möglichkeit und mit den Phänomenologen jede Transparenz als Medium angesprochen wird, dann ruft dies nach der Bestimmung von Kriterien, mit denen man einen Schrauben-zieher vom Fernseher, die Kunst vom Telefon und eine Fensterscheibe vom Buch unterscheiden kann.12 Wiesing plädiert mit Blick auf die drei genannten, entgrenzten Medienbegriffe für einen Medienbegriff mit » mehr Sinn und weniger Bedeutung, mit mehr Intension und weniger Extension « 13 und glaubt, einen solchen Ansatz bei Edmund Husserl gefunden zu haben. Der Kern dieses Ansatzes besagt, dass Medien Werkzeuge sind,die eine Trennung von Genesis und Geltung ermöglichen. Das Medium selbst bleibt im Gebrauch transparent und unbemerkt, tatsächlich ist dies den meisten Medien-de1nitionen, etwa der ebenfalls phänomenologischen De1nition nach Merleau-Pon-ty, Luhmanns Medienbegriff mit seiner Medium/Form Unterscheidung und McLu-hans Konzeptionen des Medienverständnisses gemein. McLuhans berühmt gewor-dene Feststellung the medium ist the message weist ja bereits darauf hin, dass nicht nur der » transportierte « Inhalt des Mediums, sondern das vernachlässigte, weil un-beobachtbare Medium selbst entscheidenden Einfuss auf den Mediennutzer hat.Das Potenzial, dass die hier vorgestellte Trennung von Genesis und Geltung auch für den de1nitorischen Umgang mit virtuellen Realitäten haben könnte, zeigt das nächste Zitat:Von einer Geltung lässt sich dann sprechen, wenn etwas zu sein scheint, was keine physikalischen Eigenschaften hat. In der Tat kann man die Geltung am leichtesten negativ bestimmen, indem man sagt, was sie nicht ist: Sie ist ein nicht physikalisch fassbares Etwas, auf das sich Menschen aber dennoch bezie-hen können.14 Wenn demnach etwa Schrift als Medium betrachtet wird, so ist der auf dieser Seite abgebildete Satz » 2x2=4 « der Genesisaspekt. Er ist ein materialisierter Vorgang im Raum-Zeit-Kontinuum, bildet jedoch zugleich Eigenschaften aus, die von physikali-schen Gesetzen unabhängig sind, was für Wiesing den Geltungsaspekt des Me-diums darstellt. Die Geltung hat keine physikalischen Eigenschaften, ist physika-lisch nicht existent und bewirkt somit, dass ein beliebiges Werk, etwa Thomas Manns Zauberberg, auch trotz der im Laufe der Zeit wechselnden Ausgaben oder Verlage derselbe – und nicht nur der gleiche – Roman bleibt.Geltung ist im Fall des Bildes ein wahrgenommenes Objekt, welches nicht mehr den Gesetzen der Physik unterliegt, und Medien sind die Werkzeuge,welche zur Trennung von Genesis und Geltung verwendet werden müssen.15 12 Ebd.: 239.13 Ebd.: 239.14 Ebd.: 241.15 Ebd.: 247.