2.1 Was ist ein Medium?15 Kerckhove, Leeker und Schmidt vermuten im Vorwort ihres Sammelbandes über die Möglichkeiten der Aktualisierung von Marshall McLuhans Thesen, dass die Fragmentierung, die verschiedene Medien durch ihre Spezialisierung auf bestimmte Sinne unserer Wahrnehmung » zugefügt « haben, durch Multimedia wieder rückgän-gig gemacht werden kann.McLuhan vermutete, dass das Alphabet mit der Trennung von Körper und Kommunikation auch menschliche Wahrnehmung in diverse Spezialisierun-gen aufteilte. Die elektronischen Medien, so McLuhan, bringen diese Sinne wieder zusammen. Die Stimmigkeit dieser Analyse wird heutzutage eindrück-lich nachvollziehbar bei Multimedia-Anwendungen und beim Umgang mit Virtuellen Realitäten.34 Medien der Gutenberg-Galaxis waren spezialisierte Medien, die punktiert und solis-tisch Sinne erweiterten, während der Computer medienintegrativ ein einziges Feld der Erfahrung schafft. Digitale Medien werden im Prozess der Digitalisierung zu » Uni1katoren « ,35 die alles, was sich in Zahlen oder Lettern transformieren lässt, in digitalen Speichern ablegen. Für Wolfgang Coy ist dies das eigentliche Kennzeichen des Digitalen.36 Auch Rolf Großmann stellt fest, dass technische Medien durch ihre Selektivität zu einer Fragmentierung der Wahrnehmung von Klangerzeugung,Raum, Bewegung und gestischer Performanz im Kontext musikalischer Praxis ge-führt haben. Einstmals vertraute Relationen werden separiert,37 wobei gleichzeitig entstehende Lücken zwischen vormals untrennbar empfundenen Zusammenhän-gen hergestellt werden. Auch technische Medien stellen allerdings bereits solche neuen Zusammenhänge her und sind nicht fragmentierend » an sich « :Sowohl für die Wahrnehmung als auch für Sinnzuordnungen entstehen Leer-stellen, die nur zum Teil durch imaginative Wiederbelebung vergangenen si-tuativen Erlebens kompensiert werden können. Diese ›Leerstellen‹ können für neue inner- oder außermusikalische Korrespondenzen ästhetisch produktiv werden.38 Multimedia, so ließe sich anschließend formulieren, stellt nicht einfach alte Zusam-menhänge wieder her; entstandene Lücken können vielmehr durchaus mit neuem Inhalt aufgefüllt werden. So wurden, wie Rolf Großmann dies für die Fragmentie-rung von Klangereignis und Live-Performanz durch Tonträger wie das Grammo-phon andeutet, mit der Entwicklung » akusmatischer « Hörweisen von Musik durch Pierre Schaeffer, neue ästhetische Strategien entwickelt. Gleiches gilt für den Bereich der Mensch-Maschine-Schnittstelle, der Interfaces zwischen digitalem Code und physikalischer (analoger) Wahrnehmbarkeit.34 Kerckhove/Leeker/Schmidt 2008: 14.35 Coy 2005: 23.36 Ebd.: 23.37 Großmann 2005: 190.38 Ebd.: 190.