2.1 Was ist ein Medium?17 Für Tholen, der die soeben zitierte Metapher des austauschbaren Boten als katego-rialen Rahmen des Beginns der Disziplin Kommunikationswissenschaft kennzeichnet,lieferte erst Marshall McLuhan mit seinen Auffassungen über die Einprägsamkeit des Mediums selbst einen Diskurswechsel hin zum starken Medienbegriff, der den Vermittlungscharakter von Medien betont.44 Wenn das Medium die Botschaft ist, ist es nicht grundsätzlich austauschbar, sondern bringt seine eigenen Botschaften mit.Mit seinen Vorläufern Fernsehen, Fotogra1e und Malerei steht der Computer für Kersten Reich in der Tradition der » Fenster zur Welt « , er wird vorwiegend als Bild-schirmmedium gesehen. Gerade die Fotogra1e erweist sich in diesem Zusammen-hang als eher unbeliebter Vorfahre: mit ihrer Entwicklung verfestigte sich den Auto-ren zufolge ein Repräsentationsverständnis (vor allem) der Bildmedien, das bis heu-te auf virtuelle Bildschirmrealitäten ausstrahlt. Ein Bild wird durch seinen Grad der Repräsentation, durch sein Verhältnis zur Wirklichkeit gemessen und besitzt zu-nächst keinen » Eigenwert « . Hinter dieser Vorstellung steht ein Repräsentationsmo-dell, das ein Bild als Simulation eines (objektiven) Augenzeugen versteht.Die auf Fotos repräsentierte, äquivalent abkopierte Wirklichkeit bezeugt sich selbst und gilt als unbezweifelbarer Beweis für die Existenz einer objektiven Realität. Diese scheinbare objektive Wiedergabe der Realität auf Fotos durch die Kamera übersetzt ein Spiegelverhältnis der Moderne, das den kulturellen Bedürfnissen nach Tatsachenbeweisen entspricht und diese verfestigt.45 Hier 1nden sich deutliche Züge eines erkenntnistheoretischen Repräsentationsmo-dells, das beansprucht, eine objektiv mess- und feststellbare Welt zu repräsentieren,die nicht erst durch das Medium erschaffen wird. Realistische Perspektiven auf die Welt sind mit dem vermeintlich unbestechlichen Medium Fotogra1e gefestigt und offenbar als neuzeitliches Wissenschaftsverständnis zementiert worden. Wie aber lässt sich dieses Bildverständnis auf virtuelle Realitäten anwenden? Es ist zu vermu-ten, dass neue Medien, die nach Marshall McLuhan in einer Rückspiegelperspektive betrachtet werden, sich also stets mit einem Vorgängermedium vergleichen lassen müssen. Das Verständnis neuer Medien wäre demnach stark geprägt durch das Ver-ständnis alter. Benjamin Jörissen setzt in seiner Bildkritik früher an als Reich und schlägt eine Brücke von Platons Medienkritik bis zu digitalen Bildern. Während bei Platon » gute « Bilder als solche mit kritisch-vernünftigem Bezug zu den Ideen ver-standen wurden, sind » schlechte « Bilder referenzlos, beziehungsweise selbstreferen-ziell. Ein solch mimetisches Bildverständnis zieht sich als Vorwurf der Referenzlo-sigkeit (Bilder ohne Vorbilder) bis in die Zeit der digitalen Bilder, die im Spannungs-feld von Code (einer Vor-Schrift) und gewandelter Erscheinung gesehen würden:In dieser Idealisierung zum Code – Endstufe eines Abstraktionsprozesses, den Walter Benjamin unter dem Begriff der Entauratisierung bereits den massen-44 Wenngleich Tholen auch deutlich macht, dass die » starke « Bedeutungsvariante schon deutlich früher aufkam, zumindest seit der Philosophie Hegels (Tholen 2005: 151).45 Reich/Sehnbruch/Wild 2005: S. 37.