3.2 Ernst von Glasersfeld 45 3.2 Ernst von Glasersfeld Ernst von Glasersfeld ist der wichtigste Vertreter und eigentliche Begründer des Ra-dikalen Konstruktivismus, die derzeit vermutlich prominenteste Strategie einer Rea-litätsdiskreditierung. Dabei ist der Name irreführend, denn Konstruktion ist hier nicht im Sinne eines planerischen Vorgehens, wie etwa in Architektur oder Maschinenbau zu verstehen, geht also gerade nicht von einem absichtsvollen Aufbau der Wirklich-keit aus, sondern von unbewusst, gleichsam nebenbei ablaufenden Prozessen der Welterzeugung. Glasersfeld stellt im Hinblick auf die Genealogie des Konstruktivis-mus fest:Lassen sie mich vorerst mit Nachdruck sagen, daß ich diese unkonventionelle Art und Weise über Wissen zu denken, die ich Radikalen Konstruktivismus ge-nannt habe, nicht als meine Er1ndung betrachte. Es ist eine Denkweise, die ich mir in den letzten dreißig oder vierzig Jahren zurechtgelegt habe und die, wie Sie schnell sehen werden, aus Stücken besteht, die im Laufe weitschweifender und ganz eklektischer philosophischer Lektüre hier und dort aufgeklaubt und zu einem, wie ich hoffe, widerspruchslosen Modell zusammengefügt wur-den.27 Von Glasersfeld hat demnach den Begriff » Radikaler Konstruktivismus « geprägt und kann somit als einer der wenigen gelten, der die Bezeichnung » Konstruktivist « für sich selbst in Anspruch nimmt, anders als Humberto Maturana, dessen Thesen zwar grundlegend für den Radikalen Konstruktivismus sind, der diese Bezeichnung für sich jedoch ablehnt,28 gleiches gilt für Francisco Varela und Heinz von Foerster.Anders als diese stark neurobiologisch argumentierenden Theoretiker, ist von Glasersfeld um einen philosophisch stringenteren Konstruktivismus bemüht, der philosophiegeschichtlich in die Tradition des Skeptizismus oder Idealismus einge-ordnet werden kann 29 – in Opposition zum Realismus, wobei es eine Vielzahl medialer Positionen gibt, wie Gerhard Roth feststellt:Es gibt natürlich alle erdenklichen Zwischenstufen, die man kritischen Realis-mus, hypothetischen Realismus, radikalen oder realistischen Konstruktivismus nennt, je nachdem wie sehr deren Vertreter an Wahrnehmungsinhalte als » ob-jektive Tatsachen « glauben, bei der unsere Geistestätigkeit nur eine geringe Rolle spielt, oder wie sehr sie davon überzeugt sind, dass unsere Vorerfahrun-gen, Vorstellungen und Erwartungen und Gedanken einen erheblichen Ein-fuss auf unsere Wahrnehmung haben.30 Grundposition der radikalkonstruktivistischen Perspektive ist demnach die Uner-kennbarkeit ontologischer Strukturen der Welt an sich. Alle Konstanten unserer 27 Glasersfeld, 1991: 161.28 Vgl. Kaiser 2003.29 Vgl. Luhmann 2005: 35.30 Roth 2005: 15.