3.2 Ernst von Glasersfeld 47 Unsere Erkenntnis liefert uns so einen konsistenten Sinnzusammenhang, der im Umfeld des RK oft als » Lebenswirklichkeit « bezeichnet wird. Sie kann beibehalten werden, wo sie funktioniert und muss abgewandelt werden, wo sie sich als nicht gangbar erweist. Von ihr kann man nicht nach außen – in den Bereich ontologischer Wahrheit – gelangen.Diese Wirklichkeit ist abgeschlossen, unübersteigbar, die Realität ist uns voll-kommen unzugänglich. Wenn aber die phänomenale Welt die für uns einzig erfahrbare ist, dann folgt daraus, dass der Begriff der » Realität « , wie er soeben entwickelt wurde, selbst wiederum ein Begriff innerhalb der Wirklichkeit ist,und zwar ein Begriff, der notwendig ist, um zu einem konsistenten Modell un-serer eigenen Existenz zu gelangen.« 35 Die konstruktivistische Sichtweise belegt hiernach auf der einen Seite, dass es inner -halb dieser Wirklichkeit keine Derealisierung möglich ist: sie ist immer gleich wirk-lich, sie ist unübersteigbar. Gleichzeitig deutet Roth an, dass die Thematisierung von etwas, das außerhalb dieser Wirklichkeit liegt, immer nur in ihr selbst statt1n-den kann. Wenngleich Roth diese Konstruktion für notwendig hält, ist sie ein wich-tiger Kritikpunkt an konstruktivistischen Perspektiven, die mitunter eine Reihe von » Super-Konstruktionen « entwickelt zu haben scheinen. Eine solche beinhaltet zum Beispiel die Unterscheidung von ›Wirklichkeit‹ und ›Realität‹.3.2.1 Unterschiede zwischen ›Wirklichkeit‹ und ›Realität‹Wie hier mit Gerhard Roth bereits angedeutet, hat sich im Umfeld des Radikalen Konstruktivismus eine Differenzierung des Gebrauchs der Begriffe Realität und Wirklichkeit entwickelt. Ernst von Glasersfeld setzt in diese Trennung die Hoffnung,jeglichen Realismus abzuwehren:In dieser Hinsicht bietet die deutsche Sprache einen Vorteil im Vergleich zum Englischen. Sie stellt einem zwei Wörter zur Verfügung, dank derer man den unnahbaren ontologischen Bereich, den die Abendländische Philosophie stets zu » erkennen « hoffte, als Realität bezeichnet, während man von der Erlebens-welt, zu der allein man durch Wahrnehmen und Handeln tatsächlich Zugang hat, getrost als Wirklichkeit sprechen kann. Damit hat man die Möglichkeit, al-len herkömmlichen Realismus, sei er materialistisch oder metaphysisch, zu ver-meiden.36 Vor allem Gerhard Roth hat die von Glasersfeld eingeführte Trennung von Realität und Wirklichkeit aufgenommen und eingesetzt:Wir erleben die Ich-Welt eingebettet in unseren Körper, und unseren Körper eingebettet in die Umwelt. Alles zusammen konstituiert die phänomenale Welt 35 Ebd.: 322.36 Glasersfeld 1991: 163.