3.4 Humberto Maturana 57 3.4 Humberto Maturana Die durch den chilenischen Naturwissenschaftler Humberto Maturana dargelegte Form einer Erkenntnistheorie ist am Begriff des Systems orientiert, ohne dass Ma-turana seine Sichtweise explizit der Systemtheorie zuschreiben würde, diese ist aus seiner Sicht eine Theorie, die für den mathematischen Bereich entwickelt wurde und eine Formalisierung möglich macht, die für eine Biologie der Erkenntnis nicht not-wendig ist.60 Die meisten der hier dargestellten Ansichten 1nden sich bereits in » Der Baum der Erkenntnis « , eine Publikation von Maturana und Francisco Varela.Andere hier zitierte Texte stammen von Maturana allein. Der Begriff der Auto-poiese wird hauptsächlich mit Maturana in Verbindung gebracht. Maturanas (und Varelas) Theorien gelten als naturwissenschaftliche Fundierung konstruktivistischer Positionen, ähnlich denen Heinz von Foersters, weisen jedoch eine stärker biolo-gistische Fokussierung auf. Ihre Thesen werden von den Autoren entlang wissen-schaftlicher Kriterien aufgestellt, die sie an mehreren Stellen ihrer Arbeit anführen.61 Bereits in » Der Baum der Erkenntnis « stellen die Autoren fest, dass die derzeit vor-herrschende erkenntnistheoretische Grundhaltung der Öffentlichkeit der Realismus ist,62 der Erkenntnis repräsentationalistisch versteht.Das Wort Perzeption (Wahrnehmung) kommt vom lateinischen percipere, » er-fassen, ergreifen « , enthält also die Vorstellung, durch Wahrnehmen seien die Eigenschaften einer von uns unabhängigen Welt zu erfassen. Diese Betrach-tungsweise behauptet Objektivität und damit die Möglichkeit, eine vom Beob-achter unabhängige Welt zu erkennen, als die ontologische Voraussetzung für die Unterscheidung zwischen Illusion, Halluzination und Wahrnehmung.63 In einem Interview mit Bernhard Pörksen kennzeichnet Maturana diese erkenntnis-theoretische Ausrichtung als Objektivität ohne Klammern:Ich glaube, es ist sinnvoll, zwei unterschiedliche Einstellungen und Wege des Denkens und Erklärens zu unterscheiden; die eine Einstellung nenne ich Ob-jektivität ohne Klammern. Hier geht man von einer beobachterunabhängigen Existenz der Objekte aus, die erkannt werden können. Man glaubt an die Mög-lichkeit einer externen Validierung der eigenen Aussagen. Diese Validierung verleiht dem, was man sagt, Autorität und eine fraglose, auf Unterwerfung zie-lende Gültigkeit.64 Den zweiten Weg, den Maturana selbst eingeschlagen hat – wie allein die werten-den Anmerkungen zu beiden Einstellungen zeigen – ist der Weg der Objektivität in Klammern (Intersubjektivität bei Glasersfeld):60 Riegas/Vetter 1990b: 34.61 Vgl. Maturana 2000b: 94.62 Maturana/Varela 2005: 147.63 Maturana 2000c: 155.64 Maturana, zitiert nach Pörksen 2008: 79.