60 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie der Beobachter eine Einheit (eine Entität, eine Ganzheit) hervor, gleichzeitig aber auch das Medium (Milieu), in dem die Einheit unterschieden wird und in dem alle die operationalen Kohärenzen herrschen, die die Unterscheidung der Einheit in der Lebenspraxis des Beobachters möglich machen.71 Der Beobachter erschafft durch seine Beobachtungen oder Unterscheidungen die Wirklichkeit, in der Realität des Beobachters existiert demnach nichts, was nicht von ihm unterschieden worden wäre, der Akt der Unterscheidung wird gleichsam als kreativer Akt deutlich, als Vorgang, der die Dinge, die unterschieden werden, erst erzeugt, gleichzeitig mit dem Milieu oder Medium, das als Rückseite der Unter-scheidung einer einzelnen Einheit deutlich wird. Dieser kreative Akt der Hervor-bringung einer Welt mittels Unterscheidungen wird im Zuge der Systemtheorie und ihrer analytischen Form: Medium/Form auch für eine Theorie des Cyberspace in-teressant (siehe Kapitel über Niklas Luhmann). Die Unterscheidung ist die grundle-gendste Operation, die ein Individuum ausführen kann. Eine Entität wird durch die Beobachtung von einem Hintergrund abgesondert und dadurch in der Erlebniswelt,der Wirklichkeit des Beobachters, erzeugt.Was sich aus einer solchen Operation der Unterscheidung ergibt und somit eingegrenzt werden kann, ist ein Gegenstand mit den Eigenschaften, die die Operation der Unterscheidung bestimmt, ein Gegenstand, der in dem Raum existiert, der durch diese Eigenschaften gebildet wird. Realität ist daher der Be-reich der Gegenstände und folglich das, was als real eingegrenzt werden kann.Damit steht außer Frage, was Realität ist: ein Bereich der durch Operationen des Beobachters bestimmt wird.72 Der Beobachter ist eine Instanz, die in verschiedene systemfokussierte Epistemolo-gien Eingang gefunden hat und auch in der Systemtheorie Niklas Luhmanns oder den konstruktivistischen Medientheorien Siegfried J. Schmidts vorkommt. Diese Theorien der Beobachtung verleihen den klassisch-konstruktivistischen Positionen der » vielen Realitäten « eine pointierte Form, wie S. J. Schmidt schreibt:Der philosophisch wichtige Punkt bei diesen Überlegungen liegt evidenterma-ßen darin, daß damit Wirklichkeit immer in Relation zu einem beobachtenden System (technischer oder natürlicher Art) betrachtet und beurteilt werden muß; wir können immer nur von » der Wirklichkeit des Beobachters « reden und müssen dann im strengen Sinne von den Wirklichkeiten der Beobachter re-den.73 Viele der Autoren, die dem Bereich des Konstruktivismus zugeschrieben werden,nennen die so genannten » Sinnestäuschungen « (z. B. optische Täuschungen) gerne als anschauliche Beispiele dafür, dass wir innerhalb einer Beobachtung nicht zwi-71 Maturana 2000b: 158.72 Ebd.: 133.73 Schmidt 1999: 124.