3.4 Humberto Maturana 61 schen Realität und Schein unterscheiden können. Diese Erfahrung muss erst an an-derer Erfahrung gemessen werden, also beispielsweise erst an einer zweiten Beob-achtung.Als Erfahrende können wir also » Wahrnehmung « nicht von » Sinnes-täuschung « unterscheiden. Zwar decken wir viele Illusionen mit vereinten Kräften auf – aber erst, nachdem wir sie als solche erfahren haben.74 Maturana und Varela unterscheiden also durchaus zwischen realen Phänomenen und Illusionen oder Täuschungen, auch ist für sie die Welt keine Illusion (sie distan-zieren sich an mehreren Stellen ausdrücklich von solipsistischen Standpunkten 75 ).Sinnestäuschungen sind für sie jedoch in dem Moment, in dem man sie erlebt, eben-so wirklich wie reale Phänomene, da sie innerhalb einer einzelnen Wahrnehmung nicht als » falsch « aufgedeckt werden können. Unsere Erkenntnis ist ein System,dass sich gerade dadurch leicht täuschen lässt, dass es keinen unmittelbaren Zu-gang zur Außenwelt besitzt, sondern vielmehr konstruktiv die phänomenale Welt von innen nach außen konstituiert.3.4.2 Über philosophische und naturwissenschaftliche Theorien Die Selbstreferentialität biologischer Theorien macht für Maturana auch die Diffe-renz von philosophischen und naturwissenschaftlichen Theorien aus, die er für grundlegend verschiedene Theorien hält.76 Zweifelsohne refektiere ich über das, was ich tue, und über die Gültigkeit des-sen, was ich sage, und somit philosophiere ich, aber wenn ich die Fragen über Erkenntnis und Realität beantworte als Fragen, die von der Biologie des menschlichen Lebens handeln, beantworte ich sie als Naturwissenschaftler und entwickle eine naturwissenschaftliche und nicht eine philosophische Theorie des Wissens.77 Maturana stellt in Folge die verallgemeinerte und als gesellschaftlich vorherrschend unterstellte Annahme, die Naturwissenschaft beschäftige sich mit den » harten Fak-ten « , den objektiven, unveränderlichen Größen der Realität, die Philosophie hinge-gen mit logischen Kohärenzen und Erklärungsprinzipien, auf den Kopf. Naturwis-senschaft gilt für ihn als Bereich, der keine Annahme einer äußeren Realität erfor-dert. So beschreibt eine naturwissenschaftliche Theorie – etwa das Standardmodell der Elementarteilchenphysik – keinen Zustand der ontischen Welt (dies erscheint al-lein deshalb undenkbar, weil sich wissenschaftliche Theorien im Lauf der Zeit abge-löst haben, weiter ablösen werden und keine Theorie unantastbar und unveränder-lich feststeht). Maturanas naturale Epistemologie ist rekursiv angelegt und operiert nicht mit » externen « (realen) Daten. So geht Maturana davon aus, dass 74 Maturana 1994: 45.75 Maturana/Varela 2005: 146.76 Maturana 2000a: 7.77 Ebd.