78 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie 3.5.2 Wahr ist, was funktioniert Der in Folge entwickelte Wahrheitsbegriff dieser Epistemologie ist der einer refek-tierten Naturwissenschaft, die ihre eigene Phylogenese erkannt hat und Wissen über die Welt nicht ontologisch, sondern funktional versteht. Zeitlich immer relativ zu se-hende Invarianz ist das Maximum des symbolischen Umgangs mit der Welt. Hier treten dann durchaus Parallelen etwa zum Begriff der Viabilität des Radikalen Kon-struktivismus Ernst von Glasersfelds hervor. Varela schreibt:Meinen Wahrheitsbegriff könnte man, inspiriert von der Phänomenologie und der Philosophie des Pragmatismus, als Kohärenztheorie bezeichnen: Was zählt,ist die Stimmigkeit der Theorien, die Kohärenz der Gesichtspunkte. Wahr ist,so lautet das Motto des Pragmatismus, was funktioniert.122 Wahr ist demnach alles, was zeitlich-relative Invarianten aufbaut und eine fortdau-ernde Kopplung mit der Welt erlaubt. Als unwahr stellt sich heraus, was die fort -dauernde Kopplung nicht ermöglicht.3.6 Niklas Luhmann Die bisher ausgeführten Erkenntnistheorien weisen zwar eine naiv-realistische Ab-bildvorstellung der Wahrnehmung zurück, eignen sich aber kaum für den Versuch einer nicht-ontologischen Medien- und Virtualitätstheorie. Eine komplexe Möglich-keit, de-ontologisiert über Raum, » realen « und » virtuellen « , zu sprechen, bildet die Epistemologie, die Niklas Luhmann im Rahmen seiner Systemtheorie entwickelt.Sie schließt dabei an die hier bislang vorgestellten Theorien an und versammelt so Überlegungen aus der Kybernetik Heinz von Foersters, der Biologie Humberto Ma-turanas und des mathematischen Formenkalküls George Spencer Browns. Die für Luhmann charakteristische Unterscheidung von System und Umwelt geht über Tal-cott Parsons, den Luhmann Anfang der sechziger Jahre kennen lernte, weiter noch auf den Zoologen Ludwig von Bertalanffy zurück. Relevante Forschungen können für Luhmann aus unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen kommen,sie ergeben sich als Nebenresultat anderer (zum Beispiel: neurophysiologischer oder wissenschaftsgeschichtlicher) Forschungen, und es muß nur darauf ge-achtet werden, daß die Übertragungswege geglättet und hin und wieder repa-riert werden, zum Beispiel durch geeignete terminologische Suggestionen.123 In seine Systemtheorie integriert Luhmann also unterschiedliche Forschungsdiszi-plinen und kommt trotz dieser eklektizistischen Theorieanlage zu einer weitgehend einheitlichen Arbeitsweise, die beansprucht, alles, was in einer Gesellschaft passiert,erklären zu können. Die zitierte » Glättung von Übertragungswegen « evoziert dabei mitunter Einspruch seitens der Vertreter der Theorie vor der » Vereinnahmung « 122 Pörksen 2008: 121 f.123 Luhmann 2005: 34 f.