84 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie werden. Das heißt nicht, daß die Realität geleugnet würde, denn sonst gäbe es nichts, was operieren, nichts, was beobachten, und nichts was man mit Unter -scheidungen greifen könnte. Bestritten wird nur die erkenntnistheoretische Re-levanz einer ontologischen Darstellung der Realität.135 Ontologie im Sinne einer klassisch philosophisch-realistischen Position kann es für die Systemtheorie nicht geben, gleichsam braucht jedes System jedoch eine Umwelt,von der es sich selbst durch die eigenen Operationen abgrenzen kann. Die Voraus-setzung einer Welt an sich kommt innerhalb der Systemtheorie selbst vor, das schlichte Herauskürzen der Außenwelt zerstört auch das System selbst. Es wird zugleich deutlich, dass nicht-realistische Positionen weder auf dem Boden solipsistischer Realitätsleugnung noch auf dem eines omnipotent-idea-listischen Welterschaffungsgestus beruhen: aus der Zurückweisung der Tren-nung von Erkenntnis und Wirklichkeit folgt weder, dass es keine Wirklichkeit gebe, noch, dass diese durch Erkenntnis determiniert würde.136 Benjamin Jörissen weist in diesem Sinne die Systemtheorie als vermittelndes Er-kenntniskonzept aus.3.6.5 Beobachtungen der Realität Die Operation der Unterscheidung ist die kleinste und grundlegendste Operation,die ein » Beobachter « ausführen kann. Wie bereits im Text zu Maturana angedeutet,fungiert der » Beobachter « als eine Art Paradigma der Systemtheorie. Diese hat den Standpunkt aufgegeben, dass die Realität durch Formen irgendeines Inputs in die Erkenntnis eingelesen wird und schreibt dem erkennenden System eine aktive, par-tizipative Rolle im Erkenntnisprozess zu. Es muss sich seine Welt erst erschließen,und dies geschieht über selbst getroffene Unterscheidungen. Nur was unterschie-den wird, existiert. Mit anderen Worten: Man kann etwas nur dann bezeichnen,wenn man es gleichzeitig von etwas anderem unterscheidet. Dabei ist die bezeich-nete Seite einer Unterscheidung deutlicher als die » Rückseite « dieser Unterschei-dung oder der Horizont,137 vor dem sich die unterschiedene Entität abhebt.Der Beobachter beobachtet also, er trifft Unterscheidungen, er schafft Differen-zen. Jede Beobachtung – jede Wahrnehmung – ist damit Konstruktion eines erken-nenden Systems und jede beobachtete Entität auf dieser ersten Beobachtungsebene ist real. Die Beobachtung dieser Beobachtung kann als Beobachtung zweiter Ord-nung die » Realitätskompetenz « 138 der ersten Beobachtung beurteilen, bleibt aber gleichsam eine ebenfalls standortgebundene Beobachtung. Wird sie nicht als solche refektiert, gerät sie zur normativen Setzung, die sich auf unzulässige ontologische Implikationen einlässt.135 Luhmann 2005: 35 f.136 Jörissen 2007: 104.137 Diese Formulierung 1ndet sich eher bei Humberto Maturana, Luhmann arbeitet vornehmlich mit » be -zeichneten « und » unbezeichneten « Seiten.138 Jörissen 2007: 145.