92 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie när medienkonstruktivistisch, bisweilen eher kulturpessimistisch. Eine konkret medienkonstruktivistische Position ist etwa, dass Flusser Realität als eine Frage der ausreichend hohen Aufösung eines Phänomens begreift, auch die Welt der Objekte und Dinge, die facta bruta, be-greifbare Welt, besteht aus Entitäten, die aus dicht ge-streuten Punkten zusammengesetzt sind. Eine solche dichte Streuung sei auch mit zukünftiger Technologie zu erwarten:Der Tisch, auf dem ich dies schreibe, ist nichts anderes als ein Punkteschwarm.Wenn einmal im Hologramm dieses Tisches die Elemente genauso dicht ge-streut sein werden, dann werden unsere Sinne zwischen beiden nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Das Problem stellt sich also so: Entweder sind die al -ternativen Welten ebenso real wie die gegebene oder die gegebene ist ebenso gespenstisch wie die alternativen.162 Das Ideal objektiver Erkenntnis wird hier – ganz im Sinne eines strukturellen Kon-struktivismus – abgelehnt. In diesem Fall spielen dabei jedoch insbesondere neue Medientechnologien eine entscheidende Rolle. So verändert der Blick auf virtuelle Realitäten auch den Blick auf die » Ursprungsrealität « . Aus heutiger Perspektive,gleichsam mit Blick auf die 1990er Jahre als einer Phase ausgedehnter » Derealisie-rungsbefürchtungen « , muss man konstatieren, dass Flusser durchaus auch zur Be-messung digitaler Virtualität anhand traditioneller und ontologischer Dualismen beigetragen hat. So wählt er für Formen digitaler Virtualität mitunter die Bezeich-nung » Digitaler Schein « .163 Auch wenn er selbst offen in Frage stellt, dass über-haupt etwas denkbar sei, das nicht trügt, lässt dieser » Digitale Schein « immer die Frage offen, ob nicht doch hinter den Oberfächen sämtlicher Dinge irgendwo das opponierende Sein zu 1nden sei. Hier tritt die bereits angedeutete, augenscheinliche Ambivalenz strukturell medienkonstruktivistischer Positionen und kulturpessimis-tischer Implikationen in Flussers Werk deutlich hervor. Er demaskiert einerseits das Misstrauen des alten, subjektiven, linear denkenden und geschichtlich bewußten Men-schen dem Neuen gegenüber, dass sich in den alternativen Welten zum Aus-druck bringt und mit den übernommenen Kategorien wie « objektiv wirklich » oder « Simulation » nicht zu fassen ist,164 führt aber an anderer Stelle – namentlich mit dem genannten » Digitalen Schein « ,eben jene Kategorien weiter, die er zuvor konsequent kritisiert hatte.3.9.1 Auf dem Weg zum Unding?Flussers Werk ist in seiner medientheoretisch geprägten Erkenntnistheorie darüber hinaus von den beiden Begriffen Ding und Unding geprägt. Während sich die Dinge 162 Flusser 2005b: 202.163 Vgl. Flusser 2005b.164 Flusser 2005b: 215.