3.9 Vilém Flusser 93 heutzutage gewissermaßen in der Krise be1nden, wandelt sich die Gesellschaft gleichsam in eine Dienstleistungs- bzw. Informationsgesellschaft um, die vornehm-lich mit der Herstellung und Verwaltung von Zahlen, Daten und Fakten – sprich:Undingen – beschäftigt ist. Flusser schreibt:Die harten Dinge in unserer Umwelt beginnen, von weichen Undingen ver-drängt zu werden: Hardware von Software. Die Dinge ziehen sich aus dem Zentrum des Interesses zurück, es konzentriert sich auf Informationen.165 Während Flusser für die Zeit vor der » telematischen « Gesellschaft einen Abstrak-tionsprozess ausmacht, der die konkrete Umwelt der Dinge beschreibt, systemati-siert und somit Undinge erzeugt, fordert er diesen Prozess der Abstraktion nun wie-derum für die Welt der Undinge ein. Diese von Flusser als nebelhaft beschriebenen Phänomene seien das » Konkrete « , von dem es nunmehr zu abstrahieren gelte,166 eine Bewegung » zurück zur Sache « , wie er im Rückgriff auf Husserl schreibt.167 An dieser Stelle wird Flusser oftmals missverstanden, denn der neuerlich einge-forderte Abstraktionsprozess soll nicht zurück zu den Dingen führen (denn diese seien und blieben uninteressant), sondern zu den mit ihnen nicht identischen Sachen der Undinge. Abstraktion von den Dingen führte gewissermaßen zu deren Dekon-struktion, Flusser nennt als Beispiel meist das Ding » Tisch « , das abstrahiert und gleichsam als Sache, zum Beispiel für die Physik, ein Schwarm von Teilchen ist und kein Stück solide Materie. Als Ding gibt der Tisch objektives Vorhandensein vor, als Sache ist er eine Vielheit allgemeiner Übereinkünfte. Hier werden die epistemologi-schen Implikationen dieser Medientheorie deutlich: » eine « objektive Umwelt » , an die man sich halten könnte, ist de1nitiv auseinandergefallen « .168 Die Sache » Tisch « ist dabei gewissermaßen die Summe der verschiedenen Verhältnisse, die sich zwi-schen Ich und Tisch aufspannen können, Daten über den Tisch und die beobachten-de Instanz zugleich. Wenn Flusser nun fordert, dass ein Abstraktionsprozess von den Undingen (Informationen) statt 1nden muss, bedeutet dies eine Informierung über Information. Die Abstraktion von Undingen zu den » Sachen der Undinge « wird als Beobachtung zweiter Ordnung deutlich, in der Daten über Daten erhoben werden. Für Flusser hat die Abstraktion von den Undingen als den neuen » konkre-ten Umständen « die Einsicht in die Konstruktivität jeglicher Erkenntnis zum Ergeb-nis und impliziert insofern auch eine Bewegung hin zu konsensuellen, sozial kon-struierten Realitäten. Diese zweite Weg der Abstraktion führe » weg von der Infor-mation und hin zum anderen « .169 Die beschriebene Forderung nach einer Informati-on über Information, so wird deutlich, ist die Forderung nach einer wissenschaftli -chen Auseinandersetzung mit den Folgen moderner Technologie – die Forderung nach einer dedizierten Medientheorie.165 Flusser 2005a: 185.166 Vgl. Flusser 2005a: 187.167 Vgl. Flusser 2005a: 187.168 Flusser 2005a: 188.169 Flusser 2005a: 189.