94 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie Es fällt nicht schwer, diese von Flusser getroffenen Aussagen, auf die Welt der Soft-ware-Instrumente zu übertragen: virtuelle Instrumente sind Teile von Flussers Un-dingen. Wenn konstatiert werden kann, dass eine ganze Zeit die Ausdehnung des akustischen Cyberspace betrieben wurde, indem durch Sampling oder physikali-sche Modellierung der Software umfassende klangliche Möglichkeiten eingeräumt wurden, scheint die Ausbreitung von Flussers Undingen für den Bereich der Instru-mentenkunde zunächst evident.Tatsache ist jedoch, dass in der letzten Zeit das Angebot an musikalischen Inter-faces geradezu sprunghaft gewachsen ist. Konzepte wie der unten noch genauer zu behandelnde Reactable, der im Grunde kein vollständiges Instrument ist, sondern zunächst eine haptische Bedienoberfäche für Software-Klangerzeuger darstellt, ha-ben für breites öffentliches Aufsehen gesorgt. Dies lässt die Frage nach einer Re-naissance der Dinge aufkommen, die offenbar nicht, wie Flusser prognostizierte,nachhaltig uninteressant geworden sind.3.10 Herbert Marshall McLuhan Dieter Mersch bezeichnet alle neueren Medientheorien, darunter fallen neben Vilém Flussers auch Herbert Marshall McLuhans Arbeiten, als konstruktivistisch. Mersch schreibt, dass bei den neuen medienbasierten Konstruktivismen traditionelle philo-sophische Diskurse und Kardinalunterscheidungen aufgehoben seien. Angesichts des Mediendiskurses insgesamt und auch speziell der Konzepte von Flusser lässt sich jedoch weitaus eher von einer Transformation dieser Kardinalunterscheidun-gen in einen neuen Kontext sprechen. McLuhans medienbasierte Epistemologie ist als Grundstein der wissenschaftlichen Disziplin der Medientheorie bekannt gewor-den: Understanding Media ist einer der ersten Versuche, den Einfuss von Technolo-gie und Medien auf Individuen und Gesellschaft zu ergründen. McLuhan, Professor für englische Literatur, wird im allgemeinen – ähnlich wie Flusser – nicht als Wis-senschaftler im engen Sinne angesehen, seine Thesen sind meist assoziativ und we-nig systematisch, lineare Beweisführungen » galten ihm als Zeugnisse einer über-kommenen Buchkultur « .170 Durchaus grundsätzlich (natur-)wissenschaftlich ist sei-ne Methode der Sondierung komplexer Sachverhalte. Thesen McLuhans waren Son-den, die vielfach und in verschiedenste Richtungen ausgesandt wurden. In Folge aufgestellte Thesen konnten einfach verworfen werden, wenn sie nicht zu einer Er-klärung beobachteter Sachverhalte führten (dies erinnert oberfächlich an die Kenn-zeichnung der naturwissenschaftlichen Methode bei Maturana).McLuhans berühmter Satz » the medium is the message « , bedeutet im Kern, dass das, was ein Medium in seinem Gebrauch mit uns macht, wichtiger und bedeutender ist als der Inhalt, der über das Medium vermittelt wird.The human’s use of any communications medium has an impact that is of more relevance than the content of any medium, or what that medium may 170 Mersch 2006: 106.