102 Beobachtungen der Realität – vom Konstruktivismus zur Medientheorie nicht alle anderen Sinne abgeschnitten werden, sondern nur die exponierte Stelle in gewissem Sinne » beruhigt « werden muss, damit nicht bewusst wird, was ihr gerade widerfährt, lesen sich andere Zitate eher im Sinne der landläu1g bekannten Version:Der Mensch als werkzeugschaffendes Wesen, handle es sich nun um die Spra-che, die Schrift oder das Radio, ist schon lange damit beschäftigt, das eine oder andere seiner Sinnesorgane so zu erweitern, dass dadurch alle seine anderen Sinne und Anlagen gestört werden. Haben aber die Menschen diese Versuche einmal gemacht, unterlassen sie es regelmäßig, sie der Beobachtung zu unter-werfen.194 Zwei wesentliche Punkte können McLuhans Schilderungen entnommen werden.Erstens führt die Betäubung der betroffenen Regionen dazu, dass diese nicht weiter beobachtet werden. Dies ist letztlich die Voraussetzung dafür, dass nicht refektiert wird, dass wahlweise der » User « selbst der Inhalt (content) des Mediums ist (in dem Sinne, dass Medien » extensions of man « darstellen), oder dass sich in jedem Medium immer ein weiteres Medium be1ndet. Zweitens wird deutlich, dass Me-dien unseren Wahrnehmungshaushalt bisher fragmentiert haben. Die Medienland-schaft der Gutenberg-Galaxis war voll von spezialisierten Techniken, da es kein Zei-chensystem gab, das alle anderen Zeichensysteme hätte integrieren können. Von der Digitalisierung als neuem Dispositiv wird eine Aufhebung dieser Fragmentierung erwartet. Obwohl die Vorstellungen von Head-Mounted Displays, Data-Gloves und vollständig immersiven Welten Utopie geblieben ist und der Computer zunächst vornehmlich Bildmedium war, ist das Voranschreiten von » touch « -Technologie zur Zeit wohl tatsächlich ein Zeichen für die Zusammenführung digitaler Realitäten zu multimodalen Wahrnehmungen.3.10.4 Heiße und kühle Medien Für McLuhan gibt es invasive und weniger invasive Medien. Die einen bezeichnet er als » hot « , also als » heiß « , die anderen als » cool « , als » kühl « . Dahinter steckt für McLuhan letztlich die Frage, wie aktiv oder passiv die Rolle des Nutzers im Mediengebrauch ist. Erfordert ein Medium wenig aktive persönliche Beteiligung, ist es ein » heißes « , ein wenig forderndes Medium. McLuhan schreibt, dass ein » heißes « Medium einen menschlichen Sinn in extremem Maße erweitert und ihn so in einer speziellen Hinsicht mit einer großen Menge an (Wahrnehmungs-)Daten beliefert.Ein Foto ist » heißer « als eine » kühle « Karikatur, denn es ist detailreich und hoch aufgelöst, während die Karikatur reduziert und detailarm ist. Benjamin Jörissen be-merkt mit Blick auf McLuhan:Heiße Medien wie Buchdruck oder Radio werden als intensiv, informations-und detailreich beschrieben. Da sie keine wesentliche persönliche Beteiligung 194 McLuhan 1995: 9.