118 Beobachtungen der Virtualität – vom Cyberspace zum virtuellen Instrument Es wäre indes wenig sinnvoll, den weithin etablierten Ausdruck » virtuelle Welt « oder » virtuelle Umgebung « als Bezeichnung für simulierte dreidimen-sionale Kultur- und Interaktionsräume zu verwerfen – das würde letztlich nur zu sperrigen Umbenennungen führen.2 Es handelt sich, zusammenfassend bemerkt, um konventionalisierte Begriffe, mit denen gearbeitet werden kann, allerdings ohne sie gleichermaßen unkritisch hinzu-nehmen. Umbenennungsbestrebungen führen strukturell zu einem reinen Begriffs-diskurs, der in der Sache nicht weiter führen dürfte und letztlich nur versucht, ei-nem Oxymoron eine zutreffende Bezeichnung, eine Lösung, eine doch irgendwie richtige Auslegung, zuzuschreiben, oder, wie von Jörissen konstatiert, sperrige neue Begriffichkeiten einzuführen. Wie sehr ein begriffszentrierter Diskurs Erkenntnis-gewinn erschweren kann, zeigen vor allem Jaron Laniers » physical world « im nächsten Abschnitt, sowie nicht zuletzt sicherlich die Diskussion um den Begriff » Virtuelle Realität « selbst.Der folgende Teil der Arbeit dient der Zusammenführung bislang ausgebreiteter,unterschiedlicher Theorieansätze und soll eine Theorie der Virtualität aufstellen, die gemäß der Ausgangsfragestellung die Verbreitung virtueller Welten erklären kann,ohne auf einen » Siegeszug des Scheins « verweisen zu müssen. Zunächst werden je-doch Kernbegriffe des Themenfeldes aufgegriffen und dabei die Virtualität in eine Reihe künstlicher Weltentwürfe eingeordnet.4.1 Eine kurze Geschichte der Virtualität Stefan Rieger weist im Zuge seiner kybernetischen Anthropologie auf den zunächst fast trivial wirkenden Umstand hin, dass es eine » vordigitale Virtualität « 3 gibt, Vir-tualität also keine Er1ndung des späten 20. Jahrhunderts darstellt, sondern viel-mehr ihre eigene Kulturgeschichte aufweist. Grundsätzlich lassen sich digitale Aus-prägungen der Virtualität in die Tradition » kultureller Weltentwürfe « stellen, wie etwa auch Stefan Münker bemerkt: In seiner ganzen Bandbreite stellt das Phänomen der Virtual Reality die derzeit letzte Stufe einer Kulturgeschichte künstlicher Weltentwürfe dar, die von den steinzeitlichen Höhlenmalereien von Altamira oder Lascaux bis zum klassi-schen Immersionsmedium der Moderne, dem Kino, nahezu alle Bereiche kul-turellen Schaffens umfasst. Der Umgang mit dem Phänomen medial erzeugter und erlebter Erfahrungsräume – und d. h. auch, der Umgang mit Situationen,in denen wir unsere leibliche Anwesenheit medial überschreiten – ist mithin eine sehr alte Kulturtechnik.4 2 Jörissen 2007: 21.3 Rieger 2003: 27.4 Münker 2005: 381.