4.1 Eine kurze Geschichte der Virtualität 119 Auch Yasuo Imai weist auf eine solche Historie des Virtuellen hin, die für Stefan Rieger und seine Auffassung des Menschen als » Zeichenverwender « geradezu zwingend gilt. Imais Konzeptionen sind allerdings noch stark dualistisch geprägt:Wenn die » virtuelle Realität « einen künstlich hervorgebrachten Anschein der Wirklichkeit bedeutet, dann befassen sich die Menschen immer schon mit einer derartigen » Realität « , spätestens jedoch seit der Er1ndung der Schrift.5 Margaret Wertheim nennt in ihrer Geschichte des Raums die um 1305 von Giotto di Bondone geschaffene Szene an der Chorwand der Kapelle der Madonna dell’Arena in Padua eine » virtuelle Welt « , die aus verschiedenen Räumen bestünde und über Hyperlinks sogar das Springen von Szene zu Szene ermögliche. Giotto wurde zur Leit1gur der Maltechnik der Perspektive und somit auch zu einem Pionier visueller Dispositive, technisch konzipierter Weltentwürfe. Zeitgleich ist laut Wertheim Roger Bacon einer der ersten » Verfechter der Virtual Reality « ,6 er erkannte die Effekte der Anwendung von Geometrie auf Bilder, wollte sie zur ästhetischen Strategie erheben und instrumentalisieren: » Ungläubige « sollten mit der Darstellung eindrucksvoll realistischer Bibelmotive zur » wahren « Lehre bekehrt werden. Bei aller augenschein-lichen Tradition virtueller Weltentwürfe ist jedoch ebenso festzuhalten: Wenngleich sich virtuelle Welten als Epiphänomen der Digitalisierung auch in die Tradition künstlicher Weltentwürfe einzureihen haben, bleibt diese Digitalisierung, die Medientechnik hinter dieser letzten Fassung der Weltentwürfe, ein neues Phäno-men.4.1.1 Vordigitale und digitale Virtualität Dies bedeutet eine grundsätzliche Trennung in vordigitale und digitale Virtualität.Für Stefan Rieger ist es der Formalismus der Datenverarbeitung, der zwischen neu-en und alten » Af1zierungstechniken « unterscheidet, also jener, der etwa für Rolf Großmann den Unterschied zwischen analogen und digitalen Speichermedien aus-macht.7 Jenseits der Ingenieursgeschichten der erfolgreichen Annäherung an dieses Ideal und jenseits von vorweggenommenen Einlösungen dieser vorwegge-nommenen Annäherungen in Filmen und Romanen gibt es ein Argument, mit dem die neuen und die alten Af1zierungstechniken, mit denen also das, was früher einmal Bücher und was jetzt Computer angeblich mit Menschen anstel -len, minutiös voneinander geschieden werden kann. Zwischen Fiktion und Si-mulation steht fortan ein Formalismus der Datenverarbeitung und nicht mehr nur die Ideologie bloßer Einschätzungen.8 5 Imai 2002: 26.6 Wertheim 2002: 94.7 Großmann 2005: 190.8 Rieger 2003: 45.