124 Beobachtungen der Virtualität – vom Cyberspace zum virtuellen Instrument Wertheim weist hier implizit außerdem darauf hin, dass in den Entkörperlichungs-szenarien der VR-Pioniere eigentlich keine solche radikale Wandlung des Raumkon-zepts stattgefunden hat, das Konzept des Seelenraums Cyberspace mithin alte Dicho-tomien und Ontologien weiterführt.Wie wir sehen werden, war im Lauf der Geschichte die Vorstellung von » Raum « ständig Wandlungen unterworfen, denn jede Ära hat » Raum « auf ra-dikal andere Weise de1niert. Unter diesen Umständen werden wir den Cyber-space als neueste Iteration dieses facettenreichen Konzepts betrachten.21 Wenn virtuelle Räume nicht dualistisch – und somit letztlich holistisch – als Seelen-raum skizziert werden sollen, müssen sie innerhalb eines umfassenderen Konzept des Raums verortet werden. Der » physikalische Raum « nimmt dabei laut Wertheim die gesamte Realität 22 ein lässt und innerhalb dieses Systems keinen Ort für die Psy-che oder Seele zu.4.2 De'nitionsversuche: Virtuell Vilém Flusser hat in seinem Beitrag zu Florian Rötzers und Peter Weibels Cyber-space. Zum medialen Gesamtkunstwerk anschaulich beschrieben, dass bereits eine lexi-kalische Annäherung an » das Virtuelle « allein im Grunde immer unzureichend blei-ben muss. Flusser betrachtet die Übersetzung aus dem Englischen und den Rück-griff auf philosophische und etymologische Wörterbücher und 1ndet dort keine ad-äquate Methode, das neue Dispositiv und seine Wirkung zu beschreiben. Eine be-friedigende De1nition der Begriffskombination » Virtuelle Realität « durch einen Rückgriff auf traditionelle Erklärungsmuster scheint schier unmöglich. Flusser schlägt für das Virtuelle zunächst die Metapher eines Ozeans der Möglichkeiten vor,der in Form von Wellen in Richtung der Wirklichkeit drängt, wobei man diejenigen Wellen, die dem Ziel der » Wirklichwerdung « am nächsten kommen, als virtuell be-zeichnen kann.23 Virtualität ist nach Flusser also die möglichste aller möglichen Welten. Dieses Bild passt zwar zur Vorstellung, dass die VR die bislang letzte Stufe in der Entwicklung künstlicher Weltentwürfe darstellt. Es ist auch nachvollziehbar,dass diese künstlichen Weltentwürfe, von den Höhlenmalereien in Lascaux bis zu den virtuellen Welten der Cyberhelme und -handschuhe, der Wirklichkeit, auf die sie Bezug nehmen, immer näher gekommen – und damit möglicher geworden – sind.Was dieses Bild vom Virtuellen aber explizit nicht zulässt, ist, dass es in die Wirk-lichkeit selbst gelangt. Hier widerspricht Flusser sich letztlich selbst, da an anderer Stelle erkennbar wird, dass für ihn Wirklichkeit eigentlich eine Frage der Aufösung,also der Darstellungsgenauigkeit, ist. Flusser benutzt hier meist das Beispiel eines » realen « Tisches (vgl. Kap. 4.1), der aus Atomen zusammengesetzt ist, welche hauptsächlich aus leerem Raum und ein paar winzigen Teilchen darin bestehen.21 Wertheim 2002: 21.22 Wertheim 2002: 24.23 Flusser 1993: 65 f.