4.2 De1nitionsversuche: Virtuell 125 Wenn virtuelle Räume in ihrer Darstellungsgenauigkeit an den » realen « Tisch her-anreichen, kann man nicht mehr zwischen beiden unterscheiden und es macht laut Flusser darüber hinaus keinen Sinn, von einem Original und einer Kopie (Flusser weist hier wörtlich auf Baudrillards » Simulakrum « hin 24 ) zu sprechen. Trotz Flus-sers eher pessimistischer Perspektive soll an dieser Stelle kurz ein Schlaglicht auf le-xikalische Annäherungsversuche geworfen werden.4.2.1 Derealisierungsangst als syllogistischer Fehlschluss Wie bereits angedeutet, fällt es offenbar schwer, einen Gegenbegriff zur virtuellen Realität zu 1nden. Nach Spencer-Browns Theorie der Einheit einer Differenz wird mit jeder neu getroffenen Bezeichnung unweigerlich gleichzeitig ein unmarked space erzeugt, ein Bereich des » alles anderen « , der zunächst nicht bezeichnet ist und erst in einer zweiten Beobachtung bezeichnet werden kann. Auch bei Humberto Ma-turana ist die Beobachtung als Unterscheidung die grundlegendste Operation, die ein Beobachter ausführen kann. Eine Unterscheidung sondiert für Maturana eine Entität von einer Umgebung (einem Medium), wobei beide, sowohl die Einheit als auch das Medium, durch die Unterscheidung erst hervorgebracht werden. Dies ist für Maturana die Realität: alle Bereiche, die durch einen Beobachter bestimmt wer-den können.25 Als Jaron Lanier und seine Firma VPL Research die Bezeichnung Vir-tuelle Realität einführten, schufen sie zeitgleich einen solchen unmarked space, ein Mi-lieu, ein Medium oder einen Hintergrund dieser Beobachtung. Da es sich um einen zusammengesetzten Begriff handelt, in dem beide Teile bereits einen traditionsrei-chen Diskurs mit sich führen, ist auch oder gerade bei der Suche nach einem Gegen-begriff, der Bezeichnung des vorher unbezeichneten Raums, ein heterogenes Dis-kursgemenge zu erwarten. Dabei gibt es offenbar durch die Begriffswahl der Be-zeichnung des marked space Implikationen der Bezeichnungen für den unmarked space. So wird im Internetjargon als Gegenbegriff zur Virtualität oder VR meist » IRL « (In Real Life) angeführt und somit bereits der Dualismus real/virtuell ange-schnitten.Virtualität/Realität als Gegensatz scheint im common sense eingeführt zu sein.Beide Seiten dieser Unterscheidung sind etymologisch » vorbelastet « . Betrachtet man beispielsweise das Wort » real « , so 1ndet es sich traditionell als Gegensatz zu » 1ktiv « oder » imaginär « .26 Mit der Verbreitung von VR wird jedoch ein weiterer Gegenbegriff zu » real « populär. Werden diese » Vorbelastungen « des » Realen « nicht ausgeklammert, kann es zu syllogistischen Fehlschlüssen kommen. Konkret bedeu-tet dies für virtuelle Wirklichkeit und verwandte Begriffe:24 Flusser 1993: 70.25 Maturana 2000: 133.26 Für De1nitionen des common sense wird in dieser Arbeit mehrfach auf die Online-Enzyklopädie Wi-kipedia oder, wie in diesem Fall, auf das Wiktionary, verwiesen. Obwohl ihr Status im wissenschaftli-chen Kontext aufgrund ihrer Offenheit durchaus umstritten ist und mit schlicht von dort übernomme -nen De1nitionen vorsichtig verfahren werden sollte, kann vermutet werden, dass gerade wegen dieser Offenheit ein gewisser Konsens in den Artikeln entstanden ist. Genau um diesen Konsens geht es in diesem Fall der Gegenbegriffe von » real « : http://de.wiktionary.org/wiki/real, Zugriff am 18.12.2009.