126 Beobachtungen der Virtualität – vom Cyberspace zum virtuellen Instrument Die neue Unterscheidung Realität/Virtualität kombiniert mit dem Rückgriff auf die traditionelle Unterscheidung Realität/Fiktionalität mündet im syllogistischen Fehlschluss Virtualität = Fiktionalität 27 Solche Fehlschlüsse können als Grund für auftretende Ängste vor einer Derealisie-rung unserer Wirklichkeit (hier bereits im Anschluss an Jörissen als Derealisierungs-angst bezeichnet) vermutet werden. Allein aus diesem Grund ist die Notwendigkeit einer refektierten Betrachtung der herrschenden Begriffichkeiten gegeben: im Mediendiskurs gibt es eine Reihe weiterer traditioneller Dualismen, die weitestge-hend unrefektiert angewandt werden. So wird Virtualität im Verbund mit Potenzia-lität oftmals der Aktualität entgegengesetzt. Auch hier ist eine Übertragung auf neue Instrumentenpraxis jedoch wenig Sinn stiftend. Ein bloß potenzielles, nicht » aktuel-les « Instrument ist kaum als spielbares Instrument denkbar. Wie die nächsten Ab-schnitte zeigen, ist die synonyme Verwendung von » virtuell « und » potenziell « je-doch ohnehin nicht zulässig.4.2.2 Als Möglichkeit vorhanden In der folgenden lexikalischen Annäherung an den Virtualitätsbegriff, einem Text von Stefan Münker entnommen, sind die gängigen De1nitionen von » virtuell « auf-geführt. Die häu1g anzutreffende Formulierung der bloßen Möglichkeit einer virtu-ellen Erscheinung wird oft als gleichbedeutend mit ihrer Potenzialität ausgelegt.Darüber hinaus 1ndet sich hier auch die weit verbreitete De1nitionsvariante » scheinbar « , die den extrem vorbelasteten Dualismus Sein/Schein mit sich führt.Virtuell [über fr. virtuel von mlat. virtualis = » als Möglichkeit vorhanden « , von lat. virtus = » Tugend, Kraft, Tüchtigkeit « ]: das, was nach Anlage oder Vermö-gen als Möglichkeit vorhanden ist; was intrinsisch alle Bedingungen seiner Realisierung erfüllt; auch: scheinbar, denkbar.28 Sind virtuelle Instrumente also bloß mögliche, potenzielle Maschinen? Diese Hin-weise können aus der neuen Instrumentenpraxis heraus im Grunde nur abgelehnt werden. Ein installiertes, aber nicht aufgerufenes Programm ließe sich in diesem Sinne möglicherweise noch als virtuell deuten, so bald es aber aufgerufen und somit aktualisiert wird, ist es effektiv wirksam in der Erlebniswirklichkeit des Benutzers angekommen – und wäre im Grunde dadurch nicht mehr virtuell. Wenn eine solche Aktualisierung geschieht, sind es aktuell verfügbare, spielbare Instrumente. Sobald ein virtuelles Instrument zum Klingen gebracht würde, verlöre es seine Virtualität 27 Der Hinweis auf den syllogistischen Fehlschluss entstand durch eine kurze Kommunikation über den Microblogging Dienst Twitter, http://www.twitter.com und ist später kurz von Sebastian Plönges (User @autopoiet bei Twitter) zusammengefasst worden: http://autopoiet.de/post/201628226/qua-ternioterminorum, Zugriff am 18.12.2009.28 Münker 1997: 109.