4.2 De1nitionsversuche: Virtuell 129 Bei den Begriffen ›real‹ und ›virtuell‹ handelt es sich, ähnlich wie bei der Op-position natürlich/künstlich, um Refexionsbegriffe15. Als ›real‹ bzw. ›virtuell‹erscheint etwas immer nur aus einer bestimmten Perspektive. Berücksichtigt man diese Beobachterrelativität, überrascht es nicht, dass vielen professionel-len Netsurfern, die Onlinewelt bereits als realer erscheint als die ›reale‹ Welt außerhalb des Netzes. Demgemäß verbinde ich mit der Opposition real/virtu-ell keinerlei normative Implikationen. Ich benutze sie nur, um unterschiedliche Formen der Wirklichkeitskonstruktion auf der deskriptiven Ebene voneinan-der zu unterscheiden.36 » Virtuell « ist demnach immer ein Begriff der Relationen unterschiedlicher Wirklich-keitskonstruktionen, kein Stellvertreter des » Realen « . Verschiedene Modi der Reali-tät, auch andere Medienwelten, sind virtualisierbar. Wenn die Vorstellung einer » wirklichen Welt « und ihrer Virtualisierung aufgegriffen wird, stellt sich in Folge die Frage, was in diesem speziellen Falle virtualisiert wird.4.2.5 Körperlichkeit Hier führt die Betrachtung des Körpers auf eine Spur, die in einiger Hinsicht an den Ansatz von Johannes Fromme und seinen Rückgriff auf die De1nition von Peirce anschließt. In einem Text von Michael Harenberg 1ndet sich ein Hinweis auf eine De1nition in Zedlers Universallexikon:Virtualiter, der Kraft nach, durch eine richtige Folge, ist ein metaphysisches Kunstwort und wird in der Metaphysik der Scholastiker dem Worte formaliter entgegengesetzt. Es hat die Bedeutung, daß etwas non dem anderen in Anse-hung der Existenz und des Wesens nicht würklich, sondern nur der Kraft nach gesaget wird, z. B. der König ist allenthalben seines Landes, nicht formaliter,als wäre er wirklich an allen Orten, sondern virtualiter, weil er überall seine Beamten hat, die statt seiner da sind.37 Dies bedeutet, der König wäre über die Gesetzgebung, die überall im Lande Gültig-keit besitzt, an allen Orten im Prinzip vorhanden, würde dem Untertan also virtuell » über die Schulter schauen « , nicht physisch. Der Untertan weiß um die Gesetzge-bung, die in diesem Beispiel nichts anderes ist als der verlängerte Arm des Königs.Dieser ist zwar nicht physisch anwesend, sein im Ernstfalle strafender Arm ist je-doch im ganzen Land wirksam. Ein virtuelles Objekt, etwa ein virtueller Klangkör-per, ist hier ebenfalls ein Objekt, dass sich der Wirkung nach, jedoch nicht physisch,körperlich, am Orte befände. Anders ausgedrückt: durch Virtualität ist ein Körper zwar nicht physisch-molekular anwesend, er ist in seiner Wirkung in mehrer Hin-sicht, abhängig von der konkreten Ausgestaltung, aber durchaus wahrnehmbar.Auch die De1nition der populären Online-Enzyklopädie Wikipedia betont den 36 Sandbothe 1997: 61.37 Zedler, Johann H. (1746): Universallexikon, zit. nach Bühl 2000: 82.