4.3 Von der virtuellen zur erweiterten Realität 131 Der Begriff VR ist willkürlich gewählt und nicht unumstritten. Die Gründe hierfür sind die Unterschiedlichkeit der Interessen der an der Entwicklung be-teiligten Personen sowie die Bandbreite möglicher Anwendungen, die sich nicht zu einem einzigen Oberbegriff oder Themenkomplex zusammenfassen lassen. Der Begriff ist der nicht ganz gelungene Versuch, einer emergierenden Technik einen geeigneten Namen zu geben.41 Während Bormann treffend anführt, dass die Idee hinter VR, die Lanier mit seiner Firma zur allgegenwärtigen Technik machen wollte, bei der theoretischen Durch-dringung der alltäglichen Computerrealität der Home-PCs Probleme bereitet, be-merkt er nicht, dass letztere mit den frühen Utopien der VR-Industrie nicht mehr viel gemein hat und in diesem Sinne nicht die VR ist, die Lanier und VPL Research etablieren wollten. Die virtuelle Realität ist nicht so in der Lebenswelt angekom-men, wie sie von Lanier erdacht wurde, z. B. als RB2 (reality built for two), in der zwei mit Cyber-Equipment ausgestattete Akteure in Echtzeit miteinander interagie-ren konnten. Diese virtuelle Realität ist zwar möglich, Datenhelme und Brillen sind keine Science-Fiction (mehr), sondern bereits in den 1980er Jahren von den Pionie-ren der VR entwickelt worden, sie sind aus verschiedenen Gründen 42 jedoch nicht bis zur allseitigen Verfügbarkeit vorgedrungen.Dies ist eine von mehreren Hürden, die sich bei der theoretischen Durchdrin-gung der Virtualität offenbart: was heute als Virtuelle Realität bezeichnet wird, ist nicht die Virtuelle Realität, die von den Pionieren dieser Technologie erdacht wurde.Der Anspruch von VPL Research war es, künstliche, gänzlich immersive Raumszena-rien zu etablieren, ein Dispositiv, das den Namen VR eher verdiente, da es umfas-sendere Umsetzung als etwa die frühen textbasierten virtuellen Gemeinschaften vorsah. Es galt, eine komplette, multimodale computergenerierte Umgebung zu er-schaffen, eine Umgebung, die in der Lage zu sein schien, die Ursprungsrealität zu ersetzen. Obgleich Lanier auf seiner Homepage die VR im industriellen Kontext als großen Erfolg und unverzichtbaren Teil der Konzeption verschiedenster Produkte beschreibt, konstatiert er auch, dass die Verbreitung der virtuellen Welten, die VPL konstruierte und bis zu einer umfassenden Verfügbarkeit bringen wollte, nach wie vor auf sich warten lässt. Lanier nennt auf der angeführten Internetseite elf Punkte,die einer Verbreitung dieser Technologie hin zur allgegenwärtigen Medientechnolo-gie entgegen standen und stehen, zum einen Hindernisse auf Seiten der Produzen-ten, zum anderen Skepsis auf Seiten der Konsumenten.Es wird an dieser Stele kurz der Frage nachgegangen, wie VR zunächst konkret aussehen sollte, und wie sie sich über die Zeit in gesellschaftlichen und industriel-len Systemen entwickelt hat. Die VR, die den Pionieren dieser Technik vorschwebte,war darauf angelegt, über möglichst viel sensorische Informationen ein multimoda-les und somit tatsächlich immersives Erlebnis virtueller Umgebungen zu ermög-41 Bormann 1994: 26.42 http://www.jaronlanier.com/topeleven.html, Zugriff am 22.12.2009.