136 Beobachtungen der Virtualität – vom Cyberspace zum virtuellen Instrument Cyberwelt schlicht gleichzusetzen. Aber es muss kenntlich gemacht werden, dass das Funktionsprinzip dahinter jeweils gleich ist. Bei beiden ist die Konstruktions-richtung von innen nach außen verlaufend, bei beiden kommt Wahrnehmung durch physikalische Einwirkung auf die Sinne zustande. Man ist dabei offenbar versucht,hinter einer von beiden eine reale Welt zu vermuten. Aber was bedeutet diese Ver-mutung noch, wenn eine gezielte Einwirkung auf unsere Sinne die Konstruktion ganz neuer Welten – von innen nach außen – evoziert? Wenn bereits die Normalität eine Konstruktion ist, und, wie Niklas Luhmann feststellt, die Unterscheidung von natürlich/unnatürlich im Sinne einer hierarchischen Opposition nicht mehr ver-wendet werden kann,53 müssen auch die Ideen der Input-Erkenntnis und der Über-listung der Sinne verworfen werden. Hier wird deutlich, wie sehr eine erkenntnis-theoretische Annäherung an den Cyberspace Einsicht in die Konstruktivität menschlicher Erkenntnis und die Bedingtheit aller Welten ermöglicht. Es zeigt sich außerdem, dass sich im Grunde gar nicht wirklich verstehen lässt, wie Virtuelle Realität tatsächlich funktioniert, wenn die konstruktivistische Sichtweise nicht her-angezogen wird.4.3.3 Die Aufweichung des Begriffsfeldes Während aus heutiger Sicht vorsichtig vermutet werden kann, dass jene Form virtu-eller Wirklichkeit, die Datenhandschuhe, -brillen oder -helme umfasst, niemals um-fassende Verbreitung in der Gesellschaft erreichen wird, ist eine andere, schwächere Form, in allen gesellschaftlichen Bereichen (wie mit Michael Harenberg jedenfalls für die Musik-relevanten Bereich festgestellt wurde) eingeführt und fest verankert.Der Begriff Virtuelle Realität dient nun in aufgeweichter Form als Sammelbegriff für digitale Umgebungen jeglicher Art. Stefan Münker bemerkt:Der Begriff ›Virtual Realit‹ (VR), geprägt 1989 von Jaron Lanier, ist der allge-meine Titel für die unterschiedlichsten Formen digital generierter künstlicher Welten. Das Spektrum reicht hier von den textbasierten Kommunikationsge-meinschaften der MUDs und MoOOs des Internet über die multimedialen Si-mulationsenvironments aus den High-End-Computern ziviler und militäri-scher Forschung bis hinzu den Immersionsszenarien virtueller Welten, mit de-nen der literarische und 1lmische Science1ction uns konfrontiert.54 Es scheint demnach, um eine Formulierung McLuhans aufzugreifen, » heiße « und » kühle « digitale Virtualität zu geben. Während die ersten, » heißen « VR-Szenarien vermeintlich natürliche Räume komplett ersetzen sollten, ist der Effekt der Immersi-on bei den momentan verbreiteten Formen der Virtualität wesentlich schwächer ausgeprägt, digitale Weltentwürfe sind in ihrer Wirkung auf uns merklich » abge-kühlt « . Während es durchaus nachvollziehbar erscheint, den Begriff in Folge nicht nur für vollständig immersive, durch Data-Gloves und Head-Mounted-Displays zu-53 Luhmann 1997a: 243.54 Münker 2005: 381.