5.1 Die historische Verortung von Computerinstrumenten 157 Mit anderen Worten, es gibt offenbar so etwas wie eine organisch wachsende Technik, die die Pfeifenorgel ›gebar‹, während das elektronische Instrument le-diglich von Menschenhand gebaut wurde und folglich ein künstlicher Gegen-stand ist.2 Unterscheidungen von natürlichen und künstlichen Instrumenten sind weitgehend künstliche Unterscheidungen (Harenberg). Erkennt man die beschriebenen Dichoto-mien als normative Setzung, lassen sich bei genauerer Betrachtung auch bei den di-gitalen Klangerzeugern Verwandtschaftsverhältnisse aufzeigen, die zunächst mögli-cherweise kaum zu vermuten wären. Es kann ein weiter Bogen in die Instrumenten-geschichte gespannt werden, der frei von Brüchen zwischen Natur und Technik,Natürlichkeit und Künstlichkeit oder Kunst und Technik ist. Auch diese letzte Un-terscheidung ist und bleibt eine künstliche Unterscheidung, wie Bernd Enders her-ausstellt:Ursprünglich kannte man diesen Gegensatz nicht; das griechische ›techne‹ be-deutet so viel wie Kunst, handwerkliche Fertigkeit, Einsicht, Kunstfertigkeit ähnlich wie das lateinische ›ars‹.3 Enders sieht in der Modularisierung eine von zehn Phasen (vgl. Abschnitt 2.2.2) der Instrumentenentwicklung.4 Der Verlagerung der Klangerzeugung aus dem mensch-lichen Körper heraus folgte eine Phase der Differenzierung der Instrumentenbe-standteile, das Instrument wurde zum modularen System funktionaler Bestandteile.Die Kirchenorgel stellt einen ersten Höhepunkt der modularen Musikinstrumente dar.Schon die Kirchenorgel ist so weit modularisiert, dass der Spieltisch sich zum klangerzeugenden Pfeifenapparat quasi wie eine Fernsteuerung verhält. Hier ist es letztlich eine Entscheidung des Spielers, ob er eine manuell zu spielende Klaviatur oder ein Pedal für das Spiel mit den Füßen oder etwa Knöpfe wie beim Akkordeon bevorzugt.5 Ähnlich wie Bernd Enders kennzeichnet Michael Harenberg die Trennung von Spieltisch (Interface) und Klangkörper bei der Pfeifenorgel als historisch charakte-ristischen Entwicklungsschritt hin zu einer Differenzierung und Modularisierung der Instrumentenbestandteile, die später in die Virtualisierung einzelner Module oder gar des ganzen Instruments münden konnte:Entscheidend ist die Trennung von Spieltisch als » Interface « und dem » Instru-ment « . Die » Bedienungseinheit « wird historisch erstmalig unabhängig vom Klangkörper inszeniert, ein Denken in der Trennung von » Komposition « ,» Klang « und seiner Erzeugung, welches nach 1945 in der Elektronischen- und 2 Enders 1987: 311.3 Enders 1987: 314.4 Enders 2005b: 33.5 Enders 2005b: 27.