5.2 Beispiele virtueller Instrumente 171 Bedeutung des Labels » virtuelles Instrument « als Marketingprodukt der Musikin-dustrie scheint die These von Harenberg zu stützen, denn unter dieser Bezeich-nung 35 versammeln sich zunächst unterschiedlichste Software-Klangerzeuger, un-geachtet der Tatsache, ob sie nun mit additiver Klangsynthese, Sampling-Technolo-gie oder Physical Modeling arbeiten und ob die graphischen Interfaces fotorealisti-sche Abbildungen ihrer analogen Synthesizer-Vorfahren oder abstrakter gehaltene Formen (Bilder ohne intendierte Vorbilder) darstellen. Oftmals laufen diese Instru-mente nur als » Plug-Ins « innerhalb von umfassenden, gleichsam einrahmenden » Host-Programmen « , wie etwa Aufnahme- oder auch Notationssoftware, innerhalb derer etwa ein notiertes Werk » realistisch « zum Klingen gebracht werden kann. In-nerhalb der » Virtual Studio Technology « (VST), wie die Firma Steinberg ihre 1997 eingeführte und bis heute auf Windows-Rechnern als Standard geltende Technolo-gie nannte, sind die » Hosts « meist gewissermaßen die Virtualisierung einer ganzen Studioumgebung. Neben der Aufnahmefunktion mit verschiedenen Spuren für Au-dio- und MIDI-Daten verfügen sie immer auch über ein virtuelles Mischpult mit da-zugehöriger Effekt-Sektion. Die eingeladenen Software Plug-Ins sind in diesem Sin-ne nicht nur die virtualisierten Klangkörper – sie werden vielmehr als virtuelle In-strumente in Szene gesetzt, die aufgenommen und über Hall- und Panoramabear-beitung im Klangraum positioniert werden können.Um etwas mehr Anschaulichkeit herzustellen, sollen exemplarisch verschiedene Formen virtueller Instrumente vorgestellt werden, wobei dies mit Blick auf den überquellenden Markt an käufichen und im Internet kostenlos herunterladbaren Software-Klangerzeugern nur auszugsweise geschehen kann.5.2.1 Simulation und Sampling Die Orgel ist, um an einen vorigen Abschnitt anzuknüpfen, für Betrachtungen neu-entwickelter Musikinstrumentenkultur nicht nur als erstes deutlich modular aufge-bautes Musikinstrument interessant. Weitere Erkenntnisse lassen sich aus den Dis-kussionen und streckenweise ideologischen Debatten um ihre Elektroni1zierung ab-lesen. Augenfällig ist hier zunächst der Umstand, dass der Elektronenorgel ihre Si-mulationsfähigkeit vorgeworfen und ihr somit eine charakteristische Eigenständig-keit abgesprochen wurde: die Täuschung sei das Wesen der Apparate.36 Michael Ha-renberg hebt dabei für den Kontext des Computers als Musikinstrument hervor,dass die klanglich ästhetischen Ansprüche zunächst – ganz ähnlich denen bei der Kirchenorgel (nicht nur der elektronischen!) – vom Paradigma der Simulation be-stimmt waren (M. Praetorius hob die Möglichkeit der Nachahmung von Orchester-instrumenten gerade als Vorteil der Orgel hervor). Der Computer integriert nach Marshall McLuhans Vorstellungen eines medialen » rear view mirrors « zunächst alle Vorgängertechnologien, da die neuen Entwicklungen beobachtungsgebunden im-mer erst als Weiterentwicklungen der alten Technologie gesehen werden.35 http://www.thomann.de/de/virtuelle_ instrumente_ sampler.html, Zugriff: 6.10.2010.36 Eine Reihe gesammelter Vorwürfe von Kritikern gegen die Elektronenorgel 1ndet sich im Text Enders 1987: 310 ff.