178 Angewandte Neue Instrumentenkunde durchaus zu, und im Bereich der hier relevanten Softwareanwendungen ist eine Vorherrschaft dieser Formenbildungen zu beobachten, die eine Betrachtungen des Virtuellen als über die falschen realen Objekte hinaus gehendes Phänomen zu er-schweren scheint. Überdies verstehen einige Hersteller, siehe das Beispiel der VSL,ihre virtuellen Instrumente in erster Linie als Verweise in die » wirkliche « Welt, die ihren tatsächlichen Status als Software-Instrument zu verbergen suchen. Der Com-puter und die digitale Virtualität als qualitativ neue Medien verschwinden gleich-sam zunächst hinter den vielgestaltigen Repräsentationen, die sie ermöglichen. Erst wenn man den Computer selbst als spezi1sch eigenständiges Medium wahrnimmt und nicht nur die Formenbildungen der Simulation betrachtet, die von der digitalen Virtualität gleichwohl zugelassen werden, kann die Sphäre des digitalen Mimikris zugunsten einer Annäherung an die spezi1sche Eigenständigkeit der Ästhetik des Computers als Instrument verlassen werden.5.2.2 Physical Modeling (PM-Synthese)Der amerikanische Computerspezialist, Komponist und Musikwissenschaftler Max Mathews legte mit seinen Forschungen zur computerbasierten Klangerzeugung an den Bell Telephone Laboratories in New Jersey ab den 1950er Jahren den Grund-stein für alle später weiter- und ausgearbeiteten Klangsyntheseverfahren. So kann Mathews auch als Konstrukteur des ersten Physical Modeling-Instruments gelten.Mathews zerlegte in seinem Programm MUSIC V den menschlichen Stimmapparat in fünf Röhren – Cyber-Klangkörper. Bemerkenswerterweise versuchte er nicht, Klän-ge zu synthetisieren, sondern die diese Klänge determinierenden Körper zu berech-nen. In diesem Sinne wurden zunächst die Bedingungen der Entstehung eines Klangs hergestellt – das Prinzip der physikalischen Modellierung entstand. Michael Harenberg präzisiert:Die Instrumente des musikalischen Physical Modelings virtualisieren im Unter-schied zu den Verfahren anderer Klangsyntheseverfahren oder des Samplings nicht mehr Sound im Sinne von Obertonspektren und ihren Modulationen.Physical Modeling simuliert […] die physikalischen Paradigmen auditiver Klangerzeugung selbst. Statt einen Klang zu programmieren, werden die Be-dingungen seiner Entstehung simuliert.50 Während die simulierten » Verweis-Synthesizer « meist mit numerischen Methoden,der traditionellen Klangsynthese oder Sampling erstellt werden, erscheint die Tech-nik des » Physical Modeling « im Gegensatz dazu als diejenige Syntheseform, mit der die digitale Virtualität konsequent ausgeschöpft wird. Über rekursive Formeln kön-nen hier schwingende virtuelle Körper, also die Bedingungen zur Entstehung eines Klangs, errechnet und im Sinne von medial-virtuellen Instrumenten zum Klingen gebracht werden. Auch diese Syntheseform lässt einen hohen Grad an Bezugnahme zu traditionellen instrumentalen Formen zu. Beim Physical Modeling kann so bei-50 Harenberg 2003: 89 f.