4 Einleitung offensichtlich ist:» Klassik « umfasst mehr als die gleichnamige Epoche und auch der Begriff der » Popmusik « kann nur als Pars pro Toto gelten und umfasst sogar auch weniger populäre Musiken.Da es hier jedoch auf diese Unschärfen nicht an-kommt,sondern um grundlegende Verschiedenheiten der beiden Musiktraditionen geht,fällt die mangelnde Präzision der Begriffe in diesem Zusammenhang weniger ins Gewicht,während die Vorteile der kurzen und eingeführten Terminologie zum Zuge kommen.Der Kerninhalt des Begriffs Komposition ist hier im Wesentlichen unproblema-tisch:Es geht um das Planen und Entwerfen eines Musikstücks.Bei klassischen Werken ist die Komposition von der Interpretation leicht zu trennen,wenn man die beiden Prozesse wie folgt –zugegebenermaßen vereinfacht –darstellt:Der Kom-ponist entwirft das Werk und schreibt es in Noten auf.Die klangliche Realisation erfolgt danach durch ausführende Musiker.Gegenstand der musikwissenschaftli-chen Analyse ist hauptsächlich das Werk in seiner schriftlichen Gestalt.Die Musik der Beatles entstand grundsätzlich anders:Der Komponist entwirft ein Musikstück,schreibt es aber nicht auf,sondern vermittelt es im Studio durch Vorsingen und Vorspielen den Mitmusikern.Die Rolle der Musiker kann sich dabei darauf beschränken,lediglich das auszuführen,was der Komponist geplant hat.In der Regel bringen aber mehrere Musiker ihre eigenen Ideen mit ein und die Gestaltung des Werkes vollzieht sich in einem gemeinsamen Prozess des Entwerfens und Musizierens.Die dabei entstehende Tonaufnahme ist das Werk.Es liegt nicht in schriftlicher Gestalt vor und enthält sowohl Elemente des Planens als auch der Ausführung.Wenn Komposition und Interpretation im Werk also vermischt vorliegen und im Einzelfall nur schwer zu trennen sind,ist es dann noch sinnvoll,die Komposition in das Zentrum der Fragestellung zu rücken?Meiner Ansicht nach wohl.Dass die Elemente manchmal schwer zu trennen sind,heißt nicht,dass es sich nicht doch um zwei unterschiedliche Elemente handelt.In der Regel wurde die musikalische Struk-tur der Songs in wesentlichen Teilen (Text,Melodie,Harmonik,Metrik)vor dem Aufnahmeprozess entworfen,so dass mit Recht von einer Komposition gesprochen werden kann,die auch einem einzelnen Komponisten zuzurechnen ist.Wenn der Prozess des gemeinsamen Entwerfens und Musizierens auch Elemente der Spontaneität beinhaltet,handelt es sich aber dennoch bei den Aufnahmen der Songs nicht um Improvisationen,so wie sie im Blues und Jazz einen wesentlichen Bestandteil der Musik ausmachen.Selbst die Soli,die in vielen Songs zu finden sind,wurden in der Regel nicht improvisiert.Gerade Lead-Gitarrist George Harri-son hat seine Soli sehr bewusst geplant.Oft wurden die Soli auch von klassischen Instrumenten gespielt,wobei das Trompetensolo auf » Penny Lane « hier als typisch gelten kann:McCartney hat das Solo Ton für Ton selbst komponiert,Produzent George Martin hat es in Noten aufgeschrieben,der Trompeter David Mason hat es realisiert.Everett hat mit seiner Einschätzung sicher Recht,wenn er feststellt:» The Beatles are not known for their improvisational skills.« (Musicians I,149)Das,was die Mu-sik von Lennon und McCartney ausmacht,sind nicht die Improvisationen,sondern die Kompositionen.