4 Populäre Soundchip-Musik Seit Ende der 1990er Jahre wird Soundchip-Musik auch als eigenständiges Genre innerhalb der populären elektronischen Musik wahrgenommen und bleibt somit nicht allein auf ihre Einbindung im Rahmen der Computerspiele oder Demo-Szene beschränkt. Diese wird im Folgenden »populäre Soundchip-Musik« genannt und teilt eine »Sound Culture« mit der bisher vorgestellten Soundchip-Musik. Für populäre elektronische Musik ab Anfang der 1990er Jahre stellt Kleiner fest, dass sie »immer eingeschrieben [bleibt] in die Epochalität des Technischen [und damit Medienmusik ist]« (Kleiner 2003: 9).1 Für populäre Soundchip-Musik ist diese Feststellung freilich zutreffend, da neben der Klangerzeugung auch die digi-tale Umgebung in großem Maße technologisch determiniert sind. Im Hinblick auf kompositorische Strukturen entspricht populäre Soundchip-Musik ebenso eindeutig der von Großmann festgestellten ›Armut‹ von Medienmusik: »Die Medienmusik der vergangenen 15–20 Jahre bringt kaum eine Innovation der musikalischen Struktur im Sinne neuer kompositorischer Prinzipien. Von der Geräuschmusik der Futuristen über die freie Tonalität, die Experimente des Bauhauses, die Serialität, die musique concrète bis zur Elektronischen Musik und Free Jazz (um nur einige Strömungen zu nennen) sind bis in die [19]70er Jahre die Felder für diese Art von Neuerung bereits abgesteckt. Statt dessen verändert sich die Relation von Musikpraxis, -rezeption und Material. Die spezifische Innovation der letzten Dekaden findet m. E. im Reibungspro-zeß vom medienmusikalischer Produktion und der oben beschriebenen Diver-sifikation von Mediennutzung und Nutzergruppen statt.« (Großmann 1997a: 244) Der Aspekt der originären Mediennutzung von bestimmten Nutzergruppen eröff-net einen interessanten Blick auf die herausgearbeitete Funktionalität besonders auch im Hinblick auf die zeitliche Abfolge: So adressiert sich die frühe, für Com-puterspiele programmierte Soundchip-Musik in erster Linie an Rezipienten dieser, also an Computerspieler. Als solche ist sie unter den in Kapitel 3.1 vorgestellten Kriterien programmiert worden und wurde kaum von anderen Nutzergruppen re-zipiert. Bis Mitte der 1980er Jahre bleibt Soundchip-Musik also vor allem auf ihre Anwendung in Computerspielen beschränkt, von Experimenten vereinzelter Hobby- Programmierer einmal abgesehen. Die ihr zeitlich folgenden, vorerst im kulturellen Rahmen der Demo-Szene (vgl. Tasajärvi 2004a: 12f) entstehenden Chiptunes sind ebenso stark an eine eigene Mediennutzung und Nutzergruppe gebunden, nämlich die Demo-Szene selbst, die im Verbund mit gecrackter Spielesoftware verbreite-ten Hacktros/Cracktros und ihre Musik sind ebenfalls nur von einer entsprechen- 1 Abkürzend soll an dieser Stelle unter populärer elektronischer Musik all die Musik gefasst werden, die in den 1980er Jahren mit »House« beginnt und durch die Digitalisierung der Produktionsumgebungen und einer hierdurch häufig beschworenen Demokratisierung der Pro-duktionsmittel (Stichwort: »Bedroom Producer«) zu einem bunten Mit- und Nebeneinander vielfacher Stilistiken und Genrebezeichnungen geführt hat.