4.5 Micromusic 117 deren musikalischen Formen auch in vielen Chiptunes-Coverversionen aufgegrif-fen werden, darüber hinaus können auf elektronischen Klangerzeugern basierende Musikrichtungen wie (für Deutschland) die »Neue Deutsche Welle« als historische Vorläufer der Micromusic gelten. Ein gewisser DIY (Do it yourself)-Geist ist außer-dem häufig erkennbar, wie der Bereich des Circuit-Bending eindrucksvoll zeigt. Die Portalseite micromusic.net hat sich über ihre Datenbankfunktion für frei verfügbare Musik im MP3-Format hinaus als Kommunikationsmittel für populäre Soundchip- Musiker weltweit etabliert. Konzertanfragen und Organisation der »Micro Eventz« genannten Partys werden über die Seite geregelt. Eine umfangreiche Links-Rubrik stellt ferner die neuesten PlugIns, Labels oder Artikel zu den Themen Soundchip-und Lofi-Musik vor. Auch bei Micromusic ist eine Prägung von Computerspielmusik teilweise erkenn-bar, die sich neben Remixen bekannter Themen vor allem im Aufgreifen archety-pischer formaler Figuren äußert. Ein Beispiel ist das Stück »Breakout Button« der finnischen Gruppe »Desert Planet« (n100), in dem neben einer Fülle klassischer Soundeffekte auch die für Soundchip-Musik typischen, oktavierten Bässe verwendet werden und ein Großteil der verwendeten Klangfarben denen der frühen Sound-chips (einfache Rechteckwellen ohne nennenswerte Klangmanipulation) entspricht. Im genannten Beispiel erklingen gesampelte Drumloops zusammen mit u. a. vom Commodore VC20 gesampelten Soundeffekten. Micromusic kann aufgegliedert werden in diese »New School der Chiptunes« und die eher Performance-orientierte Toy- oder Gadget-Micromusic. Erstere lässt sich von Chiptunes v. a. durch die Verwendung der Soundchip-Klänge in Form von Samples oder PlugIns abgrenzen. Sie bricht die aus den Produktionskultu-ren der Computerspiele und Demos stammenden Paradigmen der Chiptunes auf und benutzt deren »Sound Culture« für ihre eigene digitale Musikproduktion. Die Technologie von Soundchips wird in Micromusic also des eigenen »Sounds« wegen verwendet. Die Technikkultur der Soundchips ist zwar interessant und geschätzt aber anders als für Computerspielmusik und Chiptunes nicht Grundlage und Rah-men des eigenen Schaffens – es zählt primär die »Sound Culture«. Die sog. Toy- oder Gadget-Micromusic baut klingendes Plastik-Spielzeug und Kinder-Keyboards, die meist auf einfachen Sample-Schaltkreisen basieren und ggf. ein Ergebnis des eigenen Circuit-Bendings darstellen, in die Musik mit ein. Auch Game Boys und andere Soundchip-Klangerzeuger werden gerne verwendet. Ei-ne spektakuläre Live-Performance, häufig mit Verkleidungen, unterstreicht den sehr auf Unterhaltung, Performance und einer gewissen DIY-Attitüde ausgelegten künstlerischen Impetus dieser Musiker. Ein Beispiel stellt die französische Grup-pierung »Teamtendo« (n101) dar, die in Hamster-Kostümen auftreten und in ihrer Musik viel elektronisches Spielzeug verwenden, außer dem Namen und den teilwei-se verwendeten Game Boy-Klängen jedoch musikalisch wenig Anknüpfungspunkte an Chiptunes erkennen lassen. Auf der einen Seite ist Micromusic also von den stark durch Technologien deter-minierten Produktionskulturen der Soundchip-Musik der 1980er Jahre befreit, auf der anderen Seite stellt sie deren Fortführung dar und besitzt ebenso ihre eigene technologische Grundlage. Erst das Phänomen der Micromusic hat zu einer grö-ßeren Verbreitung der ihr zugrunde liegenden »Sound Culture« beigetragen und