Musik als Metapher gesamtgesellschaftlicher Interaktionsformen 25 das heißt auf Wirklichkeiten, und das heißt: auf Möglichkeiten um uns und in uns selbst « .12 Diese Kontroversen erscheinen in einem etwas anderen Licht, wenn wir sie unter dem Blickwinkel von Lorenzers Interaktionstheorie betrachten. Als Psychoanalyti-ker und Sozialwissenschaftler lag Lorenzer daran, die Psychoanalyse aus ihrer iso-lierten Situation als therapeutisches Verfahren zu befreien und sie an den wissen-schaftlichen Diskurs anschlussfähig zu machen. Mit seiner Theorie der Interaktions-formen hat er sie zu den Nachbardisziplinen, zu den Neuro- und Kulturwissen-schaften hin geöffnet und in ihrer Verbindung neu begriffen. Zentral für diese Öff -nung ist seine Methode des szenischen Verstehens, die einhergeht mit einer Revi-sion des psychoanalytischen Symbolbegriffs. Sie ermöglicht einen erweiterten Zu-gang zum Verständnis sowohl der therapeutischen Praxis als auch von Kulturpro-dukten wie sie die Musik darstellt. Von hierher lässt sich Musik als Metapher be-greifen.Alfred Lorenzers Symbolbegriff Bei Freud und über ihn hinaus galt das Symbol noch als Resultat einer primärpro-zesshaften Verarbeitung, als Erinnerungssymptom. Lorenzer dagegen versteht unter Rekurs auf den Symbolismus Ernst Cassirers 13 und Susanne Langers 14 das Symbol als Ergebnis eines kritisch-hermeneutischen Erkenntnisprozesses. Symbole entste-hen im Zuge des szenischen Verstehens in der psychoanalytischen Situation als Pro-dukte einer Einigung zwischen Analysand und Analytiker, auf der gesellschaftli -chen Ebene als Kulturbildung. Auf der intersubjektiven Ebene in der psychoanalytischen Situation meint Sym-bolbildung die Einigung über die Bedeutung der Inszenierung von Übertragung und Gegenübertragung. Inszenierung und Einigung sind hier also immer als eine Koproduktion in einem Situationszusammenhang zu denken. Die intersubjektive Einigung geht bei beiden – dem Analysanden und dem Analytiker – mit einem Evi -denzerleben einher. Was hier passiert, formuliert Lorenzer auf einer abstrakteren, metatheoretischen Ebene als Verbindung einer bisher unbewussten Interaktions-form mit einer Ausdrucks gur. Unter Interaktionsformen versteht er » jene Bildun-gen, die sich als ›konkrete Formeln der Einigung‹ in den Interaktionsvorgängen der Mutter-Kind-Dyade ausbilden und dabei zunehmend das Merkmal lebensge-schichtlicher Unaustauschbarkeit erhalten « .15 Aus Szenen, an denen beide Interak-tionspartner, das Kind und die Mutter in der Dyade, beteiligt sind, schreiben sie sich 12 Helmut Lachenmann, Musik als existentielle Erfahrung, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1996, S. 278. An-knüpfend an die Interpretation dieser Aussage Lachenmanns hat sich Simone Mahrenholz unter Be -zug auf den Symbolismus Nelson Goodmans mit der metaphorischen Funktion von Musik auseinan-dergesetzt (1998, 2000). Ebenso nden wir bei Eberhard Orthland und Christian Thorau weiterführen-de Diskussionen (2000). Ich möchte diese wichtigen Ansätze hier wenigstens erwähnen, wenn sie auch an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden können.13 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen 1923, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1953.14 Susanne Langer, Philosophie auf neuem Wege 1942, Fischer 1987.15 Alfred Lorenzer, Zur Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie, Suhrkamp 1972, S. 44.