Musik als Metapher gesamtgesellschaftlicher Interaktionsformen 29 turiert sich zunehmend mehr an den Differenzen zu seiner Umwelt. Wenn das Kind dann in der Lage ist, im eigenen szenischen Arrangement Konfiktsituationen er-träglicher zu gestalten, spricht Lorenzer von sinnlich-symbolischen Interaktionsfor-men. Sie können als spezi sche aktive Form der präsentativen Symbolbildungen aufgefasst werden. Das Kind kann jetzt selber spielen, als ob etwas geschieht. Als Beispiel wählt Lorenzer das berühmte Garnrollenspiel von Freuds Enkel, wie dieser es in Jenseits des Lustprinzips schildert.27 Ich fasse die Geschichte mit meinen eige-nen Worten zusammen:Das 1 ½ -jährige Kind pfegte immer wieder ein Spiel mit einer Garnrolle zu spielen. Es warf sie über den Rand seines Bettchens und stieß dabei ein lang gezogenes Oooooooooooooh aus. Dieses Oh bedeutete nach Angaben seiner Mutter weg. Dann pfegte das Kind die Garnrolle an ihrem Faden wieder zu sich heranzuziehen, wobei es ein freudiges Da zum Ausdruck brachte. Da das Kind eine gute Beziehung zu seiner Mutter hatte und auch nicht weinte, wenn sie fortging, verstand Freud dieses Spiel als Ausdruck dafür, wie das Kind das Verschwinden und Wiederkommen seiner Mutter erlebte.Das Spiel lässt sich als wichtiger Schritt in Richtung Selbstverfügung verstehen. Der Riss im menschlichen Entwicklungsplan – hier aktualisiert als Ambivalenz des Kin-des der Mutter gegenüber aufgrund der Hemmung seines Autonomiestrebens – wird mit dem Wegwerfen und Wiederholen der Garnrolle überbrückt und zum Ausdruck gebracht. Damit verschafft sich das Kind die Möglichkeit, sein Erleben dieser Situation auf einer Spielebene selbst zu gestalten. Es gewinnt auf einer meta-phorischen Ebene an Autonomie. Lorenzer bezeichnet diese Basisschicht der Subjek-tivität als » die Schaltstelle der Persönlichkeitsbildung überhaupt « .28 Im Zuge dieses Prozesses, der mit der Sprachbildung einhergeht, wird das Kind allmählich selbstrefexiv und es erkennt sein Gegenüber als eigenständigen Ande-ren. Der Riss im Entwicklungsplan, welcher der Metaphorisierung zugrunde liegt, stellt sich nun dar als Differenzierung von Subjekt und Objekt, Selbst und Anderem. Diese Formulierung bezieht sich auf die Ausdifferenzierung der Repräsentanzen. Doch bleibt die Differenzierung genuin unvollständig. Es bleibt immer ein Rest un-übersetzt. Dies kann bis hin zu neurotischen und psychotischen De ziten in der psychischen Struktur eines Menschen führen. Die unbewussten Erinnerungsspuren bleiben dann in umfangreicherem Ausmaß als Interaktionsformen derjenigen re-gressiven Ebene verhaftet, auf der sie entstanden. Sie sind gleichsam mit ihr ver -klebt. Hier setzt die psychoanalytische Musiktherapie an. Sie macht sich die Mög-lichkeit, unübersetzte Reste auf einer präsentativen Ebene zu formulieren und da-mit zu transformieren, zunutze.27 Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips 1920, GW XIII, S. 1–69.28 Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter, Fischer 1984, S. 163.