30 Barbara Dehm-Gauwerky Psychoanalytische Musiktherapie Zentral für die psychoanalytische Musiktherapie ist wie für die Psychoanalyse das szenische Verstehen. Zusätzlich zur Sprache besteht hier jedoch die Möglichkeit der freien musikalischen Improvisation. Aus dem spontanen Einfall heraus machen Pa-tient und Therapeut miteinander auf unterschiedlichen Instrumenten Musik. Dieses Improvisieren ist als Entsprechung zur freien Assoziation in der Psychoanalyse zu denken. Im Unterschied zur Psychoanalyse ndet hier jedoch das Zusammenspiel von Übertragung und Gegenübertragung auch auf einer konkreten musikalischen, nicht zweckbestimmten Ebene statt. In diesem Zusammenspiel entfaltet sich die In-szenierung des Patienten. Seine unbewussten Interaktionsformen realisieren sich auch im musikalischen Enactment, in welches die kulturell bestimmte musikalische Idiomatik eingeht, z. B. tonale Wendungen, rhythmische Figuren, Klänge und Ge-räusche usw. In der konkreten Teilhabe der Therapeutin an diesem Zusammenspiel und gleichzeitig der Refexion der Übertragung bringt sie ihre eigenen musikali-schen Einfälle mit ins Spiel. Auch auf dieser Ebene kann es zu Einigungen kommen. Die musikalische Gestalt, die dabei entsteht, kann als Ausdrucks gur in der präsen-tativen Symbolbildung – als musikalische Metapher – aufgefasst werden. Sie bestä-tigt sich als solche durch ein Gewahrwerden von Passendem. Die Einigung lässt sich als Kritik am Idiom begreifen, welches mit der Reinszenierung beschädigter subjektiver Identität des Patienten verbunden war. Hier wird wieder eine Brechung kenntlich, wie wir sie aus dem Metaphernbegriff der Sprachwissenschaft und aus dem Riss im menschlichen Entwicklungsplan kennen. Die Brechung in Form der Kritik am Idiom eröffnet neue Vorstellungsräume. In dieser Funktion weisen die musikalischen Metaphern in der Musiktherapie über sich hinaus, sind als Lebens-entwürfe zu verstehen. Ein Beispiel aus einer Musiktherapiesitzung Herr S., ein 45jähriger, körperlich schwerkranker Schwarzafrikaner, wurde in Deutschland depressiv und verweigerte notwendige Hilfsmaßnahmen wie zum Bei-spiel die Einnahme von Medikamenten. Er war sehr unglücklich, weil er die For-men seiner afrikanisch-islamischen Identität in Deutschland nicht leben konnte. Z. B. konnte er als schwarzer Mann in Deutschland nicht gleichzeitig mit mehreren Frauen die Ehe eingehen. Auch war es ihm wegen seiner Erkrankung unmöglich, seinen Beruf als Trommler weiter auszuüben. In der Musiktherapie beharrte er über mehrere Sitzungen hinweg auf der Wiederholung seiner regelmäßigen Trommelpul-se, die er lautstark auf seiner Djembe zunehmend ohne Rücksicht auf meine musi-kalischen Interventionen am Klavier – es handelte sich meist um Tonrepetitionen, die um tonale Zentren kreisten und lautstarke, häu g synkopische Cluster – vor-führte und in mir das Gefühl von Geschlagen-Werden hervorrief. Er erzählte mir auch, dass diese rhythmisch-metrischen Pulse in seiner Heimat in Ritualen zele-briert werden und unbedingt eingehalten werden müssen. Gleichzeitig berichtete er