32 Barbara Dehm-Gauwerky Nun werden in der psychoanalytischen Musiktherapie und auch in der Entwick-lung des Kindes keine Kunstwerke hergestellt. Hier geht es immer und zuallererst um Einigungen im intersubjektiven Geschehen. Lorenzer geht es jedoch – wie be-reits dargestellt – mit seiner Interaktionstheorie um mehr als um ein Handwerks-zeug für die therapeutische Praxis. Indem Lorenzer mit Cassirer und Langer an-nimmt, dass symbolische Operationen zur menschlichen Grundausstattung gehö-ren, erstrecken sie sich nach seiner Auffassung » auf den ganzen Reichtum und die Vielfalt der Manifestationen menschlichen Ausdrucks und kulturellen Lebens « .30 Die Komposition als Metapher gesamtgesellschaftlicher Interaktionsformen Die Prozesse, welche zur Metaphorisierung im Zuge der Konstituierung des indivi-duellen Subjekts, aber auch zum Unbewusstmachen von Interaktionsformen führen, lassen sich auch auf gesellschaftlicher Ebene ausmachen.Lorenzer entwickelt in Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis 31 den Ge-danken, dass Individuum und Gesellschaft in ihren Erscheinungsformen und Pro-dukten nicht voneinander getrennt gedacht werden können, sondern in einer dia-lektischen Beziehung zueinander ein gemeinsames Ganzes bilden, welches sich re-produziert. Dieses sich reproduzierende Ganze nennt er Gesamtsubjekt. Damit hebt er ab auf die Vorstellung von einer überindividuellen, gesamtgesellschaftlichen Sub-jektivität. Gleichzeitig verweist Lorenzer mit diesem Begriff auf die Subjektivität konstituierende Funktion der Produktion von Interaktionsformen und Symbolen. Das Gesamtsubjekt und seine Beschädigungen realisieren sich in dyadischen Pro-zessen wie beispielsweise den frühen Mutter-Kind-Interaktionen, aber auch auf ge-sellschaftlicher Ebene in Kulturbildungen und Institutionen. Zu letzteren zählt Lo-renzer alle Produkte menschlicher Praxis, soweit sie Bedeutungen vermitteln.32 Die Formen der Kunst und der Musik nehmen hierin eine Sonderstellung ein, insofern sie ausschließlich als Bedeutungsträger dienen, was man von Handlungen (z. B. der Rechtsprechung) oder Gebrauchsgegenständen (z. B. einem Stuhl) nicht sagen kann. Dem stehen die Institutionen in ihrer Erkenntnis und Veränderung verhindernden Funktion entgegen. Zu den Institutionen Mit dem gesellschaftlichen Auftrag, die Ordnung und das Zusammenspiel des ge-sellschaftlichen Lebens zu organisieren, können spezi sche Ausschluss guren ver-bunden sein, die mit bestimmten Formen des Unbewusstmachens einhergehen. Es 30 Hans-Joachim Busch, Symbol, Intersubjektivität, innere Natur. Zu Alfred Lorenzers Verknüpfung von Psychoanalyse und kritischer Gesellschaftstheorie, in: Sprache, Sinn und Unbewusstes. Zum 80. Geburts-tag von Alfred Lorenzer, hrsg. von Hans-Joachim Busch, Marianne Leuzinger-Bohleber, Ulrike Prokop, edition diskord 2002, S. 42.31 Alfred Lorenzer, Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis, Suhrkamp 1974.32 Lorenzer 1984, vgl. Anm. 28.