Musik als Metapher gesamtgesellschaftlicher Interaktionsformen 35 Kontextabhängigkeit des Sinns der einzelnen Elemente deshalb anders als die phy-sikalische Zeit, nämlich – wie Picht sagt – als vieldimensional. Wenn wir diesen Vorgang nun auf der rein phänomenologischen Ebene weiter refektieren, dann lässt sich die Formengebung einer Komposition tatsächlich als selbstreferentiell bezeichnen. Besonders deutlich wird dies bei Selbstzitaten.Aus dieser Perspektive lässt sich mit Hanslick oder Strawinsky feststellen: Musik ist nichts anderes als tönend bewegte Formen. Zu dieser einseitigen Sichtweise verleitet der präsentative Symbolmodus, da – wie zu zeigen war – in ihm nach Lorenzer Ausdrucks gur und symbolisierte Szene ineinander liegen. Dieses Zusammenfallen zweier Szenen macht die Musik selber zwar unübersetzbar. Ausdrücklich schreibt auch Langer: » Wenn Musik ein symboli-scher Modus ist, so ist ihr die Unübersetzbarkeit wesentlich « .42 Dies heißt aber nicht, dass sie keine Bedeutung hat. Ihre Bedeutung liegt in der sinnlich-symboli-schen Formulierung von bisher nicht oder noch nicht bewussten Interaktionsfor-men. Da sie aber diese durch die Art ihrer Formenbildung dem Hörer präsentiert, können in ihm Erinnerungsspuren auftauchen, die durchaus auch Gefühlswirkun-gen haben können. Dies führt zu einem weiteren Missverständnis, nämlich der Ver-wechslung von Gefühlsausdruck und Artikulation. » Solange symbolische Formen nicht bewusst abstrahiert werden, werden sie regelmäßig mit dem, was sie symboli -sieren, verwechselt « ,43 sagt Langer.Mit einer Verwechslung von Gefühlserzeugung und Artikulation hängt ein drit-tes Missverständnis zusammen, nämlich die Verwechselung des biographischen Subjekts Komponist mit dem musikalischen Subjekt Komponist. Der Komponist ist hier immer zu denken als Teil des gesellschaftlichen Ganzen. Die Komposition bringt zum Ausdruck, was der Komponist über elementare Lebenserfahrungen weiß, nicht wie und wann er dieses Wissen erworben hat. Aufgrund dieser Refexionen lässt sich dem Gedanken, Musik sei selbstreferen-tiell, widersprechen. Da in der Komposition über die Formen gebende Auseinander-setzung mit der gegebenen musikalischen Idiomatik immer die Ebene ihrer histori-schen und gesellschaftlichen Vernetzung und das gesellschaftliche Unbewusste mit ins Spiel kommen, wird in der Art und Weise, wie eine Komposition gestaltet ist, die Beziehung des musikalischen Subjekts zur Welt formuliert und damit ein Riss in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung überbrückt. Formen der in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation unbewussten und insofern ausgeschlossenen Subjektivi-tät können in der Komposition einen metaphorischen Ausdruck nden.Beispiel Ligeti Ich möchte meinen Gedankengang anhand eines Beispiels aus dem Bereich der Neuen Musik abschließen. Da ich mit meinem Fallbeispiel aus der Musiktherapie 42 Langer 1942/1987, S. 231.43 Langer 1942/1987, S. 240.