42 Barbara Dehm-Gauwerky Von T. 149 an bis zum Schluss in T. 155 wird dann die Musik viel langsamer und lei-ser. Ein vielstimmiges Rallentando setzt ein und schließt den Satz im pppp mit einer sehr langen Pause am Ende ab. Quasi nachträglich entsteht im Hörer ein Bild vom Geschehen wie das Auftauchen eines Selbst auf einer Bühne. Er wird gleichsam zum Zuschauer eines dramatischen Geschehens gemacht, in das er verwickelt war. Hierzu schreibt Ligeti:Die melodisch-rhythmischen Elemente kehren als Kaleidoskopteilchen in ver-schiedener Augmentation und Diminution immer wieder. Durch die Gleichzeitig-keit zweier gegeneinander verschobener Geschwindigkeitsschichten entsteht eine komplexe, taleaartige rhythmische Ordnung. Allmählich wird man gewahr, » dass man sich inmitten eines rhythmisch-melodischen Strudels be ndet […] durch zu-nehmende Dichte des musikalischen Geschehens entsteht eine Rotation im Ablauf der sukzessiven und übereinanderlagernden, augmentierten und diminuierten Mo-tivsplitter, und die Zunahme an Dichte suggeriert Beschleunigung « . […] » Durch die rekursive Struktur des Tonsatzes, des immer Anderen und doch Gleichen (all die Motivgebilde sind früheren Motivgebilden ähnlich, ohne dass sich je ein Gebilde wiederholen würde, die Gesamtstruktur ist also selbstähnlich), entsteht der Ein-druck eines riesigen, zusammenhängenden Netzes « .58 Zum gesellschaftlichen Bezug des vierten Satzes Dieser Satz ist davon bestimmt, den Rezipienten aus der durchgehenden Unruhe des dritten Satzes hinein in einen durch Fragmentierung entmenschlichten Be-schleunigungsstrudel zu reißen, um ihn dann nachträglich in die Situation eines Zu-schauers zu versetzen. Eine extrem bedrohliche gesamtgesellschaftliche Interak-tionsform bekommt einen metaphorischen Ausdruck. Auch hier ist eine Entspre-chung zu Globalisierungsprozessen nicht zu übersehen. Diese werden von Hartmut Rosa 59 als politische und digitale Beschleunigungswelle aufgefasst, die in ihren kul-turellen und strukturellen Ursachen einwirkt auf die individuelle wie kollektive Identitätsbildung. Die mit den technischen Geschwindigkeitssteigerungen des Transports, der Kommunikation oder der Produktion zusammenhängenden Vorteile drohen in der Spätmoderne in ihr Gegenteil umzuschlagen. » Individuell wie kollek-tiv verändert sich die Erfahrung von Zeit und Geschichte: An die Stelle einer gerich-teten Vorwärtsbewegung tritt die Wahrnehmung einer gleichsam bewegungslosen und in sich erstarrten Steigerungsspirale « .60 Sie wird als unbewegliches, stahlhartes Gehäuse wahrgenommen, in dem es keine Veränderung mehr gibt. Man kann hierin eine Analogie zur Häufung und Steigerung der Wechsel im vierten Satz des Klavier-konzerts sehen, die bis hin zum sffff–Gitter aus Akkordmixturen in Klavier und Or-chester reicht und von den Hörern als Hineingerissen in eine Drehbewegung zwi-schen innen und außen wahrgenommen wurde. 58 Ligeti 1988/2007, vgl. Anm. 49, S. 299.59 Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Suhrkamp 2001.60 Innerer Klappentext Rosa 2001.