Topographie musikbezogener Metaphern auf empirischer Basis 47 Das folgende Zitat liest sich wie ein Kommentar zu diesem Bild. Ernst Kurth (1919) bezieht sich auf die im Unterbewussten entstehende Energien: » Harmonien sind Re-fexe aus dem Unbewussten. Alles Erklingende an der Musik ist nur emporge-schleuderte Ausstrahlung weitaus mächtigerer Urvorgänge, deren Kräfte im Unhör-baren kreisen. In ihnen liegt auch die Naturgewalt aller Harmonik, nicht aber im Tönespiel, dessen farbig leuchtende Bewegtheit überhaupt nur in Spiegelungen psy-chischer, aus dem unterbewussten Tiefenbereich ausbrechender Energien ersteht.« In der Musikpsychologie von 1930 macht Kurth eine wichtige Bemerkung: » Intensi-ve Erlebnisse sind letzten Endes nicht zu beweisen, denn sie gehören zu den ›Tatsa-chen der inneren Erfahrung‹; man spürt jene Energien mit aller relativen und doch höchst eindringlichen Gewissheit unmittelbarer Erfahrung; gleichwohl sind sie wis-senschaftlich ebenso schwer zu bestimmen wie das Lebensgefühl oder wie das Be-wusstsein.« 9 Aber sollen wir sie deswegen ignorieren?Allgemeiner äußert sich Robert Haskell (1987) zur Wirkung des Unbewussten: » Das Gebäude menschlichen Verhaltens und der Kultur, der Sprache und des Sym-bolgebrauchs ruht auf Prozessen, deren wir uns nicht bewusst sind. Das heißt: es ist an der Zeit, die Konzepte einer nicht bewussten Kognition und ihrer symbolischen Strukturen zu untersuchen.« 10 Die Metapher ist das Mittel unseres Denkens in Mu-sik.11 Eckpunkte der Studie Der empirische Ansatz der Studie nutzt eine der zentralen Fähigkeiten des Men-schen, nämlich seine Sprachbegabung, um etwas über seine innere Erfahrung der Musik zu erfahren. Für dieses Vorgehen gibt es eine Legitimation u. a. durch neuere Forschungen zur Neurokognition. Durch inhaltsanalytisches Vorgehen soll die An-häufung Vermeidung bloß vordergründiger Daten werden. Aus der theoretischen Diskussion in Musikpsychologie und Neuerer Linguistik werden Kategorien ge-wonnen, mit deren Hilfe empirisches Textmaterial analysiert werden kann. Ausge-hend von einer Vorstudie 12 wird so eine Topographie musikbezogener Metaphern erstellt. Sie lassen sich lesen wie Landkarten.Legitimation von Seiten der Kognitionsforschung Neuere Forschungen zur Neurokognition belegen die gemeinsame Basis von Musik und Sprache. Physiologisch und aus evolutionärer Sicht haben sie große Gemein-samkeiten. Hieraus beziehe ich die Legitimation, auf Sprache zu setzen, wenn ich 9 Ernst Kurth: Musikpsychologie, Bern 1930 (2/1947).10 Robert E. Haskell: A Phenomenology of Metaphor: A Praxis Study into Metaphor and Its Cognitive Movement through Semantic Space, in: Robert E. Haskell (Hg.), Cognition and Symbolic Structures: The Psychology of Metaphoric Transformation 1/27, Norwood, New Jersey: Ablex 1987, S. 257–292. Vgl. auch von demselben Autor und am gleichen Ort: Structural Metaphor and Cognition. S. 241–255. 11 Michael Spitzer: Metaphor and Musical Thought. Chicago: University of Chicago Press 2004.12 Günter Kleinen: Die Leistung der Sprache für ein Verständnis musikalischer Wahrnehmungsprozesse. In: Jahrbuch Musikpsychologie, Band 13, Göttingen: Hogrefe 1999, S. 52–68.