Topographie musikbezogener Metaphern auf empirischer Basis 59 ist wie eine Flüssigkeit, in die man eintauchen, eindringen kann. Man dringt ein in eine neue Welt des Hörens. Man kann in der Musik versinken, so dass man tief bis zum Hals darin steckt und ganz von Klängen umgeben ist. Man kann sich in der Musik verlieren, man kann in einer Welt der Farbenvielfalt versinken. Aber auch selbst kann man ein Gefäß sein, das erfüllt von Musik ist. Es gibt ein Hoch und ein Tief – aus tiefster Depression kann überirdische Entrückung werden, die Musik kann Ausdruck tiefster menschlicher Sehnsucht sein, charakterisiert durch tiefe Ver-sunkenheit, oder auch eine Musik kann oberfächlich sein. Gefäß ist mit anderen Codes eng verwandt: so z. B. Konzentration, in den Bann zie-hen, faszinieren, fesseln, innen und außen. Er ist außerdem eng verwandt mit dem Raum. Aber sie reicht auch in Ebene 3 hinein (z. B. das Versinken in der Musik ist ein Mythos, oberfächlich bedeutet eine negative Bewertung usw.).Im Kontext der Metapherndiskussion ist mit Raum nicht das Gebäude oder der Raum gemeint, in dem eine Musik aufgeführt oder gehört wird. Stattdessen zielt die Metapher Raum auf innere Vorstellungen oder auch auf musikalisches Denken.Dieser innere Raum, so entnehme ich den untersuchten Texten, ist auf einer Ba-sis, einem Fundament erbaut, man spürt den Boden. Es gibt Tiefen und Höhen, Nähe und Ferne. Der Raum kann gut gebaut und formal geschlossen, vielleicht auch strukturiert und übersichtlich gegliedert, vielleicht aber auch offen in eine Landschaft weisen oder bruchstückhaft sein. Er enthält ein komplexes Innenleben mit all seinen Verästelungen. Eine Stimme erkundet den Raum. Der Raum schwingt. Klänge bewegen sich auf magische Weise im Raum. Sie fiegen aufwärts, schreiten abwärts. Die Musik klingt unendlich, überirdisch, ist entrückt. Sie bietet Raum für Assoziationen, z. B. eine grandiose Großstadtmusik. Die Musik ist immateriell, und » aller Zeitlichkeit enthoben zieht das Adagio vorüber « .Der Raum gibt der Musik ihre Form mit eigener Struktur, Extrempunkten, einer bestimmten stilistischen Position. Jemand nennt seine Kompositionen Module, » ein Modul fügt sich ans andere, es sind rhythmisch-melodische Figuren, die vor Lust beinahe platzen, ihre Spannung über zehn, fünfzehn gefühlte Minuten aber kaum je entladen.« – » Die Stille ist der Urzustand, aus dem alles Tönende aufsteigt und in die Stille sinkt alles wieder zurück.« – Die Musik nimmt deutlich pro lierte, eigen-ständige Positionen ein. – » Die Musik ist ein berauschendes Klangerlebnis, in dem man Raum und Zeit vollkommen verlassen kann.« – » Die Attraktionen sind im tie-fen Dickicht des Waldes versteckt.« Der Raum in der Musik kann offen oder geschlossen sein, für ihn gibt es wie beim Gefäß ein Oben und ein Unten, er hat eine Form, lässt sich mit einem Gebäude oder sonstigem Gebilde vergleichen; Räume ndet man auch in der Landschaft oder in der Natur; Musik existiert in einem imaginierten Raum, der auch die Grundlage einer Interpretation sein kann.