64 Günter Kleinen kann machtvoll, markant, trotzig, aggressiv klingen. – » Die Klezmer-Bläser bringen nahöstliche Melancholie ins Spiel; etwas, was Freiheit bedeutet, Spaß, Ausgelassen-heit …« usw.Das Fühlen hat auch mit Wärme und Kälte zu tun. Musik hat eine Temperatur. Es gibt heiße Rhythmen, die eine bestimmte stilistische Einordnung ermöglichen. Für eine Musik und ihre Interpretation sagen kalt oder warm etwas über die ästheti-sche Bewertung aus. Positiv ist, wenn die abstrakte Kälte weicht, wenn die Musik herzerwärmend ist, wenn die Wärme des Atems hörbar wird. Negativ, wenn ein In-terpret einen frostigen Eindruck macht, eine Einspielung nur lauwarm oder unter-kühlt ist oder dass sie mit kühler Perfektion abgeliefert wird. Akzeptabel wäre, wenn sie aufgeheizt bis hitzig klingt.Der Berührungssinn, die Natur und die physiologischen Funktionen, die mit dem Leben generell verbunden sind wie z. B. das Atmen oder die Temperatur, sind Ursprungsgebiete, die konkretisieren können, wie es uns mit unseren Gefühlen mu-sikalisch ergeht. Eine Systematik der Gefühle oder Emotionen kann ich freilich aus den Aussagen nicht heraus ltern. Immerhin deutet sich das weite Spektrum der Ge-fühle in den zitierten Aussagen an. Gleich, ob ich von den viel zitierten basic emo-tions Paul Ekmans (1971) ausgehe (happiness, sadness, anger, fear, surprise, and interest – also Glück, Trauer, Zorn, Furcht, Überraschung und Interesse)31 oder weniger sys-tematisch von garden-variety emotions, auf die Peter Kivy Bezug nimmt: happy, melan-choly, angry and the like 32 , die Emotionalität erstreckt sich durch alle Bereiche des se-mantischen Raumes, von den unmittelbaren Wahrnehmungen über die Ebene der Allgemein-Vorstellungen und Metaphern bis zu den Deutungen der Musik. Sie be-gegnet übrigens in sämtlichen Genres der Musik gleichermaßen (ohne dass ich dies an dieser Stelle näher ausführen kann). Und die Äußerungen im öffentlichen Dis-kurs, der durch die diversen auf Zielgruppen bezogenen Veröffentlichungsformen, halten sich natürlich nicht an allzu enge Vorgaben der Theorie (z. B. an Hanslick oder Adorno).Deutungen der Musik Anders als in der Musikwissenschaft üblich geht es beim subjektiven Verstehen und individueller Deutung nicht um einen Nachvollzug der musikalischen Struktur oder Form, sondern um Tiefergehendes. Musikverstehen heißt hier also nicht etwa, eine Musik nach den Regeln der musikalischen Formenlehre analysieren können. Die Kategorie der Form wird ergänzt um solche der Mythen und Utopien, des Spre-chens und der Sprache, von Traum, Rausch, Magie, ja auch der Schönheit. Diese sind freilich ganz im Sinne von Alltagstheorien zu verstehen, ihnen eignet ein hoher Grad an Subjektivität.31 Vgl. Lakoff und Johnson 1987, S. 38; Paul Ekman und Susanne Kuhlmann-Krieg: Gefühle lesen: Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren. München: Spektrum 2005.32 Vgl. die Diskussion bei Peter Kivy: Introduction to a philosophy of music. Oxford: Clarendon Press 2002.