66 Günter Kleinen als langweilig empfundenen Kultur; das Fremde wird zum Mainstream in der glo-balisierten Popwelt; du kriegst hier das Gegenteil des trockenen, ef zienzorientier-ten Lebens im Westen; Jarrett ist einer der letzten Romantiker, konsequent bis zum Schluss, denn die blaue Blume kann niemand nden, sonst wäre sie kein Mythos mehr; Sie können mit dieser Musik zurück nden zu dem, was wirklich wichtig ist. Ständig fegen ekstatische Drums durch die Harmonien, streichen orientalische Geigen hin-ein, schwirren fächige Gesänge wie Mantren umher.Traum, Rausch, Magie: Der Mythos der Kompositionen ist der Traum. Man wird aus den Träumen herausgerissen; es wird rauschhaft; am Ende dreht die Welt Pirou-etten im Rausch der Klänge, Melodien und Rhythmen; Trance-Musik; Ekstase; Ma-gie; hypnotische Effekte. Magie; der Mythos der Kompositionen ist der Traum; hyp-notische Effekte; die Musik verleitet zum Träumen; Stimmführungszauber; Spiel-rausch; echt traumhaft anzuhören; das Riff entfaltet eine ganz besondere Magie; ent-führt uns in eine traumähnliche Szenerie; die Wiederholung ist ein wesentliches Ele-ment ihrer Musik, sie nennen es Ritual.Die Musik übermittelt bewusst oder unterbewusst eine Botschaft. Klänge erzäh-len, mit jedem Ton wird die Musik als existentielle menschliche Äußerung verstan-den. Sie ist Ausdruck. Nach Simone Mahrenholz liegt Ausdruck dann vor, wenn die Exempli kation metaphorisch ist: » also im Fall der Musik, wenn eine musikalische Struktur auf etwas Bezug nimmt, was selbst nicht Musik ist. Auf Farben, auf Licht bzw. Helligkeit, auf Atmosphären, auf architektonische Formen – die Liste ist end-los. Damit hängt auch zusammen, dass die Natur der metaphorisch exempli zierten Label […] Gefühl einschließt, aber nicht auf Gefühle beschränkt ist. Das bedeutet ebenfalls: es sind nicht nur originär nicht-sprachliche Labels, sondern die wenigsten von ihnen müssen überhaupt versprachlicht werden, um erfasst zu werden.« 33 Zur Beschreibung der musikalischen Form werden insbesondere die Metaphern der Landschaft, auch der Heimat, des Weges, des Raumes, der Architektur, der Na-tur u.ä. herangezogen. Ein paar letzte Beispiele: Suche nach den eigenen Wurzeln; formbestimmend ist dabei die Vorstellung pfanzlichen Wachstums; die Musik entfaltet sich keineswegs organisch, sondern temporal-kaleidoskopisch; Jahreszeiten, Schöpfung, Zerstö-rung, Ruhe; ich wollte bis in die energetischen Wurzeln der Klangmittel gehen; meine Mu-sik ist labyrinthisch (Ligeti); Verästelung; er lässt die Sinfonie aus einer großen Ruhe entste-hen, er zeigt einen halbstündigen Evolutionsprozess, wie aus der anfänglichen Zersplitte-rung wahre Naturgewalten entstehen; ein musikalisches Wurzelgefecht, in dem drei eigen-ständige Werke kopulieren und sich gegenseitig kompostieren (Rihm); er spricht von Myze-lien, den Wurzelgefechten der Pilze, von » Klimazonen « , aus denen sich gerade dieses Stück zusammenbraute; Wüsten, Meere, Dschungel – eins entfaltet sich aus dem anderen, wie bei-läuKg Form annehmend und doch stringent; das Orchester gebiert eine schreckliche Vision der Angst und Beklemmung; die Musik ist wie ein Fenster, man kann weit ins Land schau-en; diese Musik wurzelt in den zwanziger Jahren und gelangte in den Sechzigern zur Blüte; 33 Simone Mahrenholz: Musik-Verstehen jenseits der Sprache. Zum Metaphorischen in der Musik. In: Michael Polth, Oliver Schwab-Felisch und Christian Thorau (Hg.): Klang – Struktur – Metapher. Musika-lische Analyse zwischen Phänomen und Begriff. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000, S. 219–236, im Internet veröffentlicht unter www.momo-berlin.de/Mahrenholz_ Musik-Verstehen.html.